„Mama! Was ist Keramik?“ Die Neunjährige Anja hat gerade gelesen, dass in Cottbus, ihrer Heimatstadt, im Haus der Pioniere eine Arbeitsgemeinschaft Keramik für Kinder gebildet werden soll. Mutter Waltraud ruft aus der Küche zurück: „Tontöppe!“ „Dann will ich das machen!“, kam es aus dem Kinderzimmer. Das war so endgültig und entschlossen, dass die Mutter ihr Kind bald dort anmeldete - und letztlich an die Kunst „verlor“. In all den Jahren formte Anja viele Vasen und „Töppe“, ein Werk immer besser als das andere. Noch als Abiturientin half sie in Keramikstudios aus und verdiente sich ein wenig Taschengeld. In einer Fachzeitschrift las sie, dass jemand zum Keramiker ausbildet und Auszubildende sucht. „Die Anzeige war ganz knapp gehalten: Suche Lehrling und Telefonnummer“, erinnert sie sich an eine weitere schicksalshafte Begebenheit, die sich zehn Jahre nach ihrem Einstieg in die Keramikkunst zutrug. Jugendhaft und unbedarft rief sie dort an und bekam schon am Telefon eine Zusage. Sie solle nur noch bald ihre Bewerbungsunterlagen zuschicken. Erst da merkte sie, wohin es sie verschlagen wird. Ganz deutlich wurde ihr das in einer der letzten Schulstunden im Abiturjahrgang 1992. Jeder Schüler und jede Schülerin trat nacheinander an die Deutschlandkarte und zeigte seinen zukünftigen Ausbildungsort. Viele zeigten auf West- und Süddeutschland, wenige auf die Lausitz. Anja brauchte einen Zeigestock, denn Fehmarn lag ganz oben am Kartenrand.
Nun hieß es wohl, für lange Zeit Abschied zu nehmen. Von der Mutter, die sie allein aufzog und von den Großeltern in Rosendorf und Partwitz. Beide Orte unbeschwerter Kinderferien lagen inzwischen auf dem Grund des Senftenberger Sees, die Großeltern waren nach Senftenberg verzogen. Im fernen Norden wurde sie erst allmählich etwas heimisch, und ihre Arbeiten wandelten sich von reiner Handwerkskunst zu richtiger Kunst. Nach über acht Jahren Tätigkeit auf Fehmarn weckte dies in ihr das Bedürfnis, ein Studium aufzunehmen. Am Koblenzer Institut für künstlerische Keramik wurde sie eingeschrieben und erhielt dort eine solide Ausbildung. „Die musste ja solide sein, bei nur drei Studenten pro Semester, eine richtige Eliteschule“, schätzt Anja Bogott ihre damalige Ausbildung ein. Während des Studiums kam sie auch mit der Aktmalerei in Kontakt, die sie mit einem Kurs in der Volkshochschule noch vertiefte. Es entstanden die ersten großen Zeichnungen auf Papier, später auf Seide und Holz. „Akte ohne Gesichter sprechen den Betrachter eher an, als naturgetreue Abbilder“, erklärt Anja ihr besonderes Faible für diese Kunstrichtung, die sie immer mehr faszinierte. „Das könnte dann jede Frau sein, vielleicht auch ich“, wird die Betrachterin denken, lauteten Anjas Überlegungen. Sie malte oder zeichnete später Ehefrauen, die ihrem Gatten mal ein besonderes Geschenk machen wollten und betonte die eine oder andere körperliche Besonderheit. „Obwohl gesichtslos, haben die Männer ihre Frauen auf den Werken sofort erkannt, aber eben auch nur sie. Für Fremde erschloss sich nicht, wer sich hinter dem Bildnis letztlich verbarg“, erklärt die Künstlerin die große Nachfrage nach ihren Werken. Eines ihrer Lieblingswerke sind „Die drei Schwestern“ aus der Reihe Kunst trifft Natur. Dazu gehört auch immer ein Samenkorn, denn die Schwestern versinnbildlichen. Eine reckt sich wie die Bohne, eine macht sich breit wie ein Kürbis und die andere schwankt wie Mais im Sommerwind.
Zu sehen ist das Bild in der ehemaligen Burger Kauperschule, einer Ferienanlage. Der Sehnsucht nach Heimat und Gewohntem kommt sie regelmäßig nach. „Ich bin so was von verwurzelt, das habe ich erst gemerkt, als ich so weit weg von zu Hause war“, so Anja Bogott. Sie deckt sich bei ihren Heimaturlauben mit Gurken und Leinöl ein und versorgt auch die neuen Freunde im tiefen Westen damit. Bei einer ihrer Fahrradtouren durch den Spreewald traf sie die Betreiber der Ferienanlage Alte Schule, die sich mit dem Gedanken trugen, mit Kunst ihr Angebot an die Urlauber aufzuwerten. Schon bald war die Idee „Kunst trifft Rad“ geboren, denn das Urlauberklientel sind überwiegend Fahrradtouristen. Die Fließe, die Kähne und das alles bestimmende gewaltige Grün des Spreewaldes inspirieren jeden Künstler und erst recht die lausitzstämmige Anja Bogott. „Für mich stehen Flüsse und Bäche für das Leben. Wir gleiten auf ihnen dahin und wissen oft gar nicht, wo und wie wir ankommen“, beschreibt sie ihre Begeisterung für die zahlreichen Fließe des Spreewaldes. Das hat sie wohl auch dazu inspiriert, die Kahn stemmende Frau zu malen. Sie symbolisiert die Kraft der Spreewälderinnen, nicht nur mit dem Rudel die Richtung zu bestimmen.
In Koblenz unterhält sie das Haus 121 mit zwei wichtigen Bereichen ihrer Kunst, der Keramik und der Malerei. Daneben organisiert sie Veranstaltungen auf Schloss Stolzenfels, hoch über dem Zusammenschluss von Rhein und Mosel gelegen. Sie hat auch einen Betreuervertrag mit einer „Männerklinik“ wie sie die Vielbacher Fachklinik für langjährig Obdachlose und Suchtabhängige nennt. „Mit Keramikarbeiten arbeiten wir gemeinsam den Suchtweg auf, mit dem Ziel, weg von der Sucht zu kommen.“
Manchmal ist Anja Bogott allerdings auch nirgends zu finden: Wenn das Leinöl alle und die Sehnsucht nach der Lausitz übermächtig geworden ist, macht sie sich auf den Weg in Richtung Osten. Ihre Freunde in der neuen Heimat haben dafür Verständnis. Sie kennen Anja und über sie die Lausitz. „Wer Anja kennt, kennt auch ihre angestammte Heimat“, heißt es nicht selten in ihren Kreisen. Manchmal wird sie auch aufgezogen, wegen ihres gar nicht rheinischen Dialektes. „Mir unterstellt man eine zu harte Aussprache, mein ganz neutrales ‚Ja‘ empfinden die als ein genervtes ‚Ja‘. Inzwischen kennen die mich besser, versuchen aber trotzdem manchmal, wenn auch vergeblich, mir beizubringen, dass es ‚Kirche‘ heißt und nicht ‚Kürche‘, wie Lausitzer sagen. Und das eine ‚Küche‘ keine ‚Kiche‘ ist!“
Peter Becker, 02.03.12
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