Der 1966 in Burg geborene Albrecht Netzker zog es als Jugendlicher ins Handwerkliche - der Vater war Schlosser- und gleichzeitig ins Künstlerische. Mit Lydia, seiner älteren Schwester, trat er später als Trompeten-Orgel-Duo in Kirchen auf. Es gab sogar noch eine Zeit am Cottbusser Konservatorium mit Gesangs- und Trompetenunterricht, aber spätestens hier war endgültig die Entscheidung gefallen. „Ich will mit Holz arbeiten, es formen und nach meinen Vorstellungen gestalten – auch eine Art künstlerischer Betätigung“, erzählt über die Jugend- und Jungerwachsenenzeit. Schon als im Spreewald stromernder Junge hatten es ihm Landschaft und Tiere angetan. Als Kind baute er die ersten Futterkrippen für die Rehe. Mit Försterhut zog der Zehnjährige („da wollte ich grad Förster werden“) durch die Natur, bald auch mit einem eigenen Kahn. Durch die Mithilfe im Landwirtschaftsbetrieb der Eltern bekam er mal die eine oder andere Mark zugesteckt, die er eisern sparte. Als der Kaufpreis für den alten Kahn, fünfzig Mark, zusammen war, überraschte der Zwölfjährige seine Eltern mit seinem ersten eigenen Kahn. „Mit Kumpel Torsten Zöllner holte ich ihn von Willischza mitten im Winter ab und reparierte ihn mehr notdürftig als fachgerecht“, erzählt er über den ersten größeren Kauf seines Lebens. Den Eltern blieb nur, dem neuen Gefährt Platz auf dem Hof zumachen. Platz bekam er auch von seinem Vater, der in seiner Schlosserei zusammenrückte und eine Tischlerecke einrichtete. Albrecht sammelte altes Werkzeug, Holzreste und vor allen Dingen Erfahrungen. Wenn da nur nicht immer die Schwester und die Eltern mit ihrer musischen Ader für eine gewisse Ablenkung vom eingeschlagenen Kurs gesorgt hätten! Er fand aber immer wieder zurück zum Handwerklichen, absolvierte in der Burger Stellmacherei Lehmann seine Lehrezeit und wurde Tischlereigeselle. Eine Meisterausbildung wollte er aufnehmen, aber dazu hätte ihn sein Meister delegieren müssen. „Das hat noch Zeit“, lautete dessen Antwort auf Albrechts drängen. Da kam das Angebot vom Burger Betriebsteils des Cottbusser Fleischkombinats, ihn als Betriebstischler einzustellen gerade recht. Im Betrieb hätte er ohnehin nicht all zu oft sein müssen, denn die Tischlerarbeiten waren ausgelagert und sollten durch ihn in einer eigenen Werkstatt erledigt werden. Bis auf die kleine Tischlerecke beim Vater hatte er aber keine. Mit Vierzehn hatte er sich schon in Heike verguckt und sie nie aus den Augen verloren. Nun, mit Anfang Zwanzig, guckte er noch etwas intensiver und letztlich erfolgreicher. „Ich wanderte auf ihrem großen Elterngrundstück mit viel Platz für eine eigene Werkstatt ein und machte mich an die Arbeit“, erinnert er sich an seine Familien- und Wirtschaftsgründung. Inzwischen gab es aber keinen Auftraggeber mehr. Wendebedingt war er, der Betriebstischler, entlassen worden und plötzlich arbeitslos. Der Schritt in die nun mögliche Selbstständigkeit war schwieriger als gedacht: kein Meister – keine Selbstständigkeit, so knallhart die Handwerkskammer. Nur mit einer Ausnahmegenehmigung durfte er als „Tischlereielementeeinbaubetrieb“ tätig werden. Nichts herstellen, nur montieren war erlaubt. Dafür konnte er jetzt ohne Delegierung seinen Meister machen. „Nach zwei Jahren war der in der Tasche, aber wie komme ich an gute preiswerte Maschinen?“ Diese Überlegungen führten ihn eher zufällig nach Osnabrück. Maschinenhändler Erich Schmiegeld suchte Abnehmer für gebrauchte Maschinen. In dem jungen Ostdeutschen fand er einen dankbaren Kunden. Der Westmeister wollte ganz ehrlichen Herzens seine ganz private Aufbauhilfe leisten und gab die Technik zu guten Preisen ab. „Nimm mit und bezahl‘, wenn du kannst!“ Diesem Mann ist Albrecht Netzker heute noch sehr dankbar.
In der neuen Burger Werkstatt standen die Säge- und Hobelmaschinen nun nicht mehr still. Der Eigenheimbau boomte und mit ihm die Produktion von Treppen. Das unweite Hotel zur Bleiche war ebenfalls im Umbau und auf der Suche nach einem geschickten und etwas künstlerisch angehauchten Tischler. In den Folgejahren machte Albrecht Netzker durch viele Holzeinbauten im Hotel auf sich aufmerksam. Mit Synergieeffekt: Hotelgäste machten den Tischler ausfindig und ließen sich in ihren Appartements in Paris eicherne Fensterrahmen einbauen.
Was ihn niemals losließ, war der Ehrgeiz, einmal selbst einen Spreewaldkahn zu bauen. Literatur gab es nicht, die Kahnbauer hielten sich in Schweigen und ihre Kunst im Dunkeln. „Das können Sie nicht!“, lautete die Antwort des Radduscher Kahnbauers Max Petrick, den er um Hilfe bat. Aber so nach und nach verriet er dann doch am Küchentisch das eine oder andere Detail seinem sehr aufmerksamen Zuhörer. Sein Burger Nachbar war im Besitz von fünfzig Jahre alten Kiefernbohlen, die von seinem Großvater, einem Kahnbauer, fachgerecht, aufbewahrt wurden und wurmfrei geblieben sind. „Mach was draus!“. Plötzlich im Besitz des wertvollen Holzes, wollte sich Albrecht Netzker an den Kahnbau heranwagen. Um das Material nicht zu verschwenden, wurde es erst einmal ein vier Meter fünfzig großes Probegefährt gebaut. Tochter Linda nutzte ihn sogleich als Paddelkahn, drin stehen konnte niemand.
Inzwischen liegt „A.N.5“ im Wasser, „A.N.6“ wird bald folgen, der erste Kundenauftrag für das Burger Hotel „Spreebogen“. Die ersten fünf Kähne des Albrecht Netzker (A.N.) dienten und dienen den Familienausflügen, denn der Tischlermeister ist begeisterter Kahnfahrer, aber eben nur privat. Im Winter, sofern möglich, ist er mit Schlittschuhen unterwegs. „Wer schon mal in einer Vollmondnacht durch den Spreewald glitt, weiß, warum ihn von diesem schönen Fleckchen Erde niemand wegbekommt!“
Peter Becker/peb1, 22.03.13
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