„Ich könnte gar nichts anderes anziehen, ich habe ja nur Tracht!“
„Der sieht aber gut aus“, entfuhr es Anni Ramoth, als sie beim Tanz zum ersten Mal ihren Zukünftigen erblickte. „Die sieht aber gut aus, so in ihrer Tracht, die wär was für mich“, dachte auch der in den letzten Kriegstagen aus Schlesien geflohene und in Werben untergekommene Joachim Lindner. Dass Anni, die eigentlich Anna heißt aber von niemand so genannt wird, auffiel, war neben ihrer zweifellos vorhandene Schönheit („Ich hatte viele Chancen!“) auch auf die wendische Tracht zurückzuführen, die sie als Einzige trug. Und so fügte sich, was sich fügen sollte, 1951 in eine Ehe mündete und allen Alltagsmühen widerstand.
Anni trug schon als Vierjährige Tracht – und sie trägt sie heute noch. Sie ist wohl die Letzte, die dies auch im Alltag tut und wie man sie sich in Kunersdorf, ihrem Lebensmittelpunkt von Anfang an, auch gar nicht anders vorstellen kann. „Ich habe ja auch keine deutschen Sachen, ich muss ja immer wendisch gehen“, versucht sie eine Erklärung und meint damit, dass sie zahlreiche Trachtenteile besitzt, die getragen werden wollen. Diese Fülle an Kleidung verdankt sie ihrem „Achim“, denn der hat wesentlich dazu beigetragen- ganz so, wie es sich jede Frau eigentlich von ihrem Mann wünscht. „Ich habe sie so kennen gelernt und möchte auch, dass sie so bleibt!“ Joachim Lindner hatte das Handarbeitliche schon bei seiner schlesischen Großmutter erlernt. Er kann häkeln, stricken, spinnen und hat auch viele Gestaltungsideen. So hat er die Festtagsschürze für seine Frau zur goldenen Hochzeit selbst entworfen und meisterlich bestickt. Wenn Anni mal nach Cottbus fährt, zieht sie natürlich die „bessere Wochentracht“ an. Sie wird dann immer wieder von den Leuten angesprochen und dann auch im Trachtentragen bestärkt: „Ich glaube, die sind froh, dass es im wend’schen Cottbus noch so jemanden wie mich gibt!“ Anni Lindner stand und steht auch im Interesse der Medien. Viele Journalisten und TV-Teams gab sie schon bereitwillig Auskunft und zeigte ihnen ihr dörflich-wendisches Leben.
Natürlich gab es auch immer wieder mal Bestrebungen, die Tracht abzulegen, aber die gestrenge wendische Mutter hat dies nicht zugelassen. So war Anni die Einzige, die auch zur Schule nach Papitz „Wendisch“ ging und so mancher Hänselei ausgeliefert war. Durch ihre sehr guten schulischen Leistungen errang sie aber auch Achtung. Besonders dann, wenn sie in jüngeren Klassen den Lehrer vertreten oder helfen durfte - für mehrere Klassen in einem Raum eine damals nicht ungewöhnliche Praxis an dörflichen Schulen.
Von der großen Haube hat sie sich dann aber doch irgendwann einmal getrennt: „Ich spielte viele Jahre die Kirchenorgel in Papitz, aber die Haube hat mir die Sicht nach hinten versperrt. So bin ich manchmal schon ohne Haube zur Kirche gegangen, und die Frauen des Dorfes hatten nun schon das Ende meines Trachtentragens vorhergesehen, aber sie sollten sich irren“, erinnert sich Anni an diese Zeit. Ihre musische Ader hat sie wohl aus dem Elternhaus mitbekommen, denn dort wurde viel gesungen, natürlich in Wendisch, weil es eben auch die Alltagssprache war. „Deutsch habe ich erst auf der Straße gelernt, von anderen Kindern. Erst als mein Achim ins Haus kam, bemühten sich dann auch meine Eltern, mal ab und zu deutsch zu sprechen, damit der zukünftige Schwiegersohn auch immer alles versteht, was an Arbeit zu erledigen war.“ Über diese „Sprachschwierigkeiten“ muss sie noch heute ein wenig schmunzeln. Anni ist nach wie vor perfekt in der wendischen Sprache und hilft gern ihrer Tochter Marlene bei der Übersetzung der regionalen wendischsprachigen Druckerzeugnisse.
Gut in Erinnerung ist ihr das wendische Brauchtum geblieben, besonders zur Osterzeit. Mit den anderen Frauen ging sie um vier Uhr früh durch das Dorf. „Wir trugen die verschiedensten Kirchenlieder vor und leiteten damit den Ostersonntag ein. Das war unsere Botschaft“, erinnert sie sich an die vielen Jahre, die sie als Kandorka, wie die Vorsängerin auf Wendisch heißt, für das Singen verantwortlich war. „Besonders auch das Walleien, das Kullern von Ostereiern, fand in Kunersdorf regen Zuspruch. Für jedes getroffene Ei gab es einen Pfennig. Da entwickelten sich manchmal wahre Meisterschaften und Wettkämpfe!“ Vermutlich gingen dabei viele Eier zu Bruch, denn am „kleinen Ostersonntag“, eine Woche später, wurden in Kunersdorf noch einmal Eier gefärbt, diesmal aber nur mit Zwiebelschalen.
Anni Lindner lebt die Traditionen in aller Konsequenz, denn während ihrer langjährigen Tätigkeit in einem Altersheim war es bestimmt nicht immer leicht, die nicht gerade bequeme Tracht sommers wie winters zu tragen! Sie ist ihren Eltern erst jetzt dankbar, denn ohne diesen Druck hätte sie wie alle anderen auch die Tracht bald abgelegt. An ihre Tochter Marlene Jedro hat sie dieses Brauchtum erfolgreich weiter geben können, unterstützt von Marlenes Großmutter, die es allerdings gern gesehen hätte, wenn „Marlen’chen“ auch täglich die Tracht getragen hätte – aber dafür waren die Zeiten nun mal nicht mehr geschaffen…
Annis Rosinensuppe für heiße Tage
Zitronenschalen gut reinigen und auf dem Herd in Wasser ansetzen, Mehl mit etwas Wasser verquirlen und unter Quirlen in den Topf geben. Vier Eier verrühren, etwas vom Sud hinzufügen und dann alles zurück geben. Aber Vorsicht: Topf unbedingt vorher vom Herd nehmen, denn die Eier dürfen nicht gerinnen! Mit Essig, Zitronensaft und Zucker abschmecken, Nelken und ganzen Zimt extra kochen und dem Sud je nach Belieben und Geschmack zusetzen. Zum Schluss eine Handvoll gut gewaschener Rosinen in die Suppe geben. Nach kurzem Ziehen auf Tellern servieren, mit Sahnehäubchen und Minzblättern garnieren, dazu wird Zwieback oder Toastbrot gereicht.
Peter Becker, 02.11.10
Werner Meschkank: In der Kirchgemeinde Papitz (wendisch Popojce) gab es um 1880 übrigens 514 Einwohner, von denen waren 502 Wenden und ganze 12 Deutsche.
Im zum Kirchspiel Papitz gehörenden Kunersdorf (wendisch Kosobuz) waren es
207 Einwohner, davon 201 Wenden und 6 Deutsche.
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