„Der Weg zum Erfolg wäre kürzer, wenn es unterwegs nicht so viele reizvolle Aufenthalte gäbe.“ (Sacha Guitry (1885-1957), frz. Schriftsteller, Schauspieler u. Regisseur)
Im Flur der Bigalskis hängt eine Karte, darauf farbige Nadeln, verbunden mit farbigen Zwirn. Sie zeigen die Zugwege des Paul Bigalski, die freiwilligen wie die unfreiwilligen. „Es sind die Aufenthalte, die mal reizvoll und manchmal grausam waren. Sie haben mein Leben bestimmt!“
Paul Bigalski ist Jahrgang 1927, geboren und aufgewachsen im pommerschen Schneidemühl. Das Zitat des Franzosen Guitry hat er erst viel später zu seinem Lebensmotto gemacht, allerdings in einem etwas anderen Sinn. Für Paul Bigalski wäre das ganze Leben kürzer und leerer, gäbe es die vielen Aufenthalte nicht. „Ich war immer offen für alles und neugierig auf alles. Ich habe vieles ausprobiert und ausgereizt, um letztlich zu wissen, was mich wirklich voran bringt“, erzählt der heutige Vetschauer rückblickend auf sein Leben. In Schneidemühl hielt ihn sein Vater zum Musizieren an. Er war am städtischen Theater angestellt und wollte seinen Sohn auf einen ähnlichen Weg bringen. Gegen alle Widerstände und gegen alle Unlust. „Ich wollte wie die anderen rumbolzen und nicht ständig auf der Geige üben“, so Paul Bigalski. „Und dennoch bin ich meinem Vater dankbar, denn ohne ihn wäre ich wahrscheinlich nicht Lehrer geworden.“
In den Schneidemühler Flugzeugwerken wurde Paul ab 1941 in einer vierjährigen Lehre zum Flugzeugtechniker ausgebildet. „Flugzeuge, das war die Zukunft. Ich war stolz darauf, dabei zu sein. Fliegen war etwas für mich, ich machte nebenbei eine Segelflug- und eine Bordfunkerausbildung, musste sie dann aber abbrechen, weil die Front immer näher rückte.“ Der Technik begeisterte Jugendliche, der sich über den Einsatz der Waffe Flugzeug damals wenig Gedanken machte, wurde über Nacht Fliegersoldat und war plötzlich mitten drin im Tod bringenden Krieg. Die Fliegerlitzen an der Uniform wurden bald gegen die der Infanterie ausgetauscht, das Funkgerät gegen die Panzerfaust. Er und die anderen 18-Jährigen sollten die Front bei Krakau aufhalten. Von den russischen Truppen vor sich her getrieben, kamen viele bei Mühlberg an der Elbe, darunter auch Paul, in deren Gefangenschaft. Er gab sich aber keineswegs mit seinem Schicksal ab. Als der Wachposten mal nicht hinsah, floh er in die Wälder - um bald wieder einer polnischen Patrouille in die Arme zu laufen und gleich noch einmal in Gefangenschaft zu geraten. Auch hier gelang noch einmal die Flucht und Paul versteckte sich bei der inzwischen in Malitschkendorf bei Herzberg untergekommenen Mutter. Sie meldete ihren aus Angst vor Entdeckung als vermisst - eine List, die aufging. Bei einem Bauern in der Nähe von Lübben fanden sie Monate später Arbeit und bekamen dafür Lebensmittel. Das Versteckspiel war nun nicht mehr nötig und Paul begann seine Zukunft zu planen. Ein befreundeter junger Lehrer gab ihm den Tipp, doch Neulehrer zu werden, die damals dringend gebraucht und kurzfristig ausgebildet wurden. Der fundiert gebildete und musisch Begabte („Danke Vater, für deine Geduld und Strenge“) schaffte die Aufnahmeprüfung ohne Probleme und stand bald vor einer 3. Klasse mit 52 Schülern in Schwarzheide. „So, das ist jetzt ihre erste Unterrichtstunde“, sagte der Direktor und ging hinaus. „Mir blieb nur, mich an die Methodik meiner Lehrer in Schneidemühl zu erinnern und boxte mich durch den Lehreralltag. Oft im Wissen meinen Schülern nur einen Tag voraus.“ Nach der Umsetzung 1948 nach Vetschau in die dortige Zentralschule und nach weiteren Qualifizierungslehrgängen wurde Paul Bigalski so nach und nach zu einer Lehrerpersönlichkeit, die in Vetschau in den folgenden vier Jahrzehnten Generationen ausbildete. Sein kärgliches Lehrergehalt besserte er durch Tanzmusik auf. Gemeinsam mit Rudi Kahlisch tingelten sie als „Weiße Raben“ durch die Lokale. Die Genehmigung dafür erhielten sie von der Volksbildungsbehörde nur unter der Maßgabe, die Hälfte ihrer Gage zur Finanzierung eines Kinderferienlagers einzusetzen. Paul Bigalski leitete in der Schule verschiedene Volkstanz- und -liedergruppen, darunter auch sorbische. Er war mit seinen Schülern mehrfach bei Musikwettbewerben unter den Ausgezeichneten und eine kulturelle Größe in Vetschau. Dem Bürgermeister handelte er geschickt eine Neubauwohnung in der Straße des Aufbaus ab. Mit seiner 1957 geheirateten Marianne konnte er bald einziehen. Hier wurde 1959 Tochter Heike geboren. Für die schöne Wohnung musste er dem Bürgermeister versprechen, bei öffentlichen Anlässen kulturelle Beiträge zu erbringen. „Fuchs musst du sein, nicht Jäger“ ist ebenfalls ein Lieblingszitat von Paul Bigalski. „Den anderen zum Handeln bewegen und nicht immer nur reagieren - ein wichtiges Prinzip im Miteinander“, so Bigalski.
Inzwischen ist es etwas ruhiger um Paul Bigalski geworden. Die Geige holt er nur noch selten aus dem Kasten. Das Kayboard bedient er noch mal ab und zu, aber das Gehör ist nicht mehr fein genug. „Ich klimpere einfach nur mal so, es macht immer noch Spaß.“ Der 85-Jährige blickt zufrieden auf sein Leben zurück. Er hat alles richtig gemacht, die „reizvollen Aufenthalte darin“ haben es schöner und inhaltsreicher gemacht.
Peter Becker/peb1, 20.07.12
Paul Bigalski verstarb am 10. Januar 2018