Gisela Christl

Gisela Christl, Lübben

  • Stadtführerin
  • Nachtwächtergesellein
  • Bekennende Sorbin

„Eigentlich bin ich ja eine ‚Grüne’, eine die die Luft und die Natur liebt“, beschreibt sich Gisela Christl selbst. „Aber das habe ich erst später gemerkt. Davor lagen noch die üblichen Schul- und Ausbildungsjahre, die mich in meinem Fall nach der EOS in Lübben zu einem Studium der Textiltechnik in Forst führten.“ Die Arbeit danach in lauten und meist auch dunklen Fabrikhallen, der Umgang mit Chemikalien, die Dämpfe – all das war nichts für die junge Frau im Luckenwalder VEB Volltuch. Der Zufall sollte es richten: Sie wurde als Gesundheitshelferin im Betriebsferienlager am Neuendorfer See eingesetzt und lernte dort Harald Christl, einen jungen und sehr liebenswerten Lehrer kennen. In Lübben fand das junge Paar Wohnung und Arbeit, die Kinder Matthias und Andreas erblickten das Licht der Welt. Es folgten eine Qualifizierung in der Gärtnerei Liebscher in Neuendorf zur Gärtnerin für Zierpflanzenproduktion und auch gleich noch die zu einer Gärtnermeisterin mit anschließender leitender Tätigkeit in einer LPG-Gärtnerei. Zur gleichen Zeit erwarb die Familie ein altes Haus in der Dorfaue in Steinkirchen und baute es mit Unterstützung der LPG-Handwerkerbrigade um. Damals waren die Betriebe verpflichtet, bei der Lösung des Wohnungsproblems mitzuwirken, sei es durch Material, Technik oder Freistellung von der Arbeit. Genau dies aber wurde Gisela Christl später angekreidet, als sie im Wendeherbst 1989 eine Selbständigkeit anstrebte und Blumenzucht und –verkauf betreiben wollte. Mit dem Vorwurf der Undankbarkeit brauchte sie aber nur wenige Monate leben, die politische Wende veränderte alles. Ihr eigenes Unternehmen „Blumen- Christl“ florierte anfangs und erforderte eine weitere Qualifizierung, dieses Mal zur Floristin. „Nur durch wahnsinnig viel Arbeit und mit Unterstützung der ganzen Familie sind wir durch diese Jahre gekommen“, resümiert sie heute. „Und wer weiß schon, wie schwer eine Kiste Nelken ist und was es heißt 70 bis 80 Stunden die Woche aufzubringen, damit alles am Laufen bleibt?“ Nach elf Jahren bekam sie es deutlich zu spüren, der Körper rebellierte und wollte und konnten nicht mehr. Der immer aufopferungsvoll mithelfenden Familie entfuhr ein „Gott sei Dank“, als sie schweren Herzens von ihrer Aufgabeabsicht erzählte. Alle Floristengeschäfte wurden so nach und nach abgegeben. Aber die gesundheitlichen Probleme nahmen danach erst richtig zu, denn die „Vollbremsung“ aus der Vollbeschäftigung heraus forderte ihren Tribut.
In diese Zeit fiel eher zufällig die Bitte von Mitarbeitern des Tourismusbüros, sich doch mal der einen oder anderen Gästeführung anzunehmen. „Die haben mich schon öfter in Tracht gesehen, denn ich war ja schon lange Mitglied im Lübbener „Spreewaldfrauenchor“, sie nahmen deshalb an, dass ich auch Ahnung vom Spreewald haben müsse“, erinnert sie sich. „Dem war aber erst mal gar nicht so, ziemlich schnell bekam ich mit, was ich eigentlich alles nicht wusste. Ich spürte aber, dass diese Tätigkeit, an die ich nie im Traum gedacht hätte, etwas für mich ist! Inzwischen begrüße ich meine Gäste immer in Sorbisch, schon um den Sprachklang zu vermitteln. Viele wollen diese Sprache einfach nur mal hören. So habe ich gleich einen passenden Einstieg in die Geschichte meiner sorbischen Tracht.“
Inzwischen arbeitet sie mit zwei weiteren Gästeführern in der „Interessengemeinschaft historische Stadtführungen“. Bei Frank Selbitz hat sie die Nachtwächterei „erlernt“, er hat ihr rezitatives und musikalisches Talent erkannt und sie zur Nachtwächtergesellin ernannt.
In Jutta Küchler hat sie eine Partnerin, die sehr umfangreiches Detailwissen über Paul Gerhardt verfügt und den Part der Haushälterin und Pfarrwitwe Sabina Fromm auch gern übernimmt.
 „Mich ärgert, wie ignorant manche Leute mit ihrer Geschichte umgehen, sich aber nicht scheuen, bei jeder Gelegenheit das Wort, meist ein unkundiges, zu ergreifen. Besonders, wenn es um Sorben/Wenden geht, um Begrifflichkeiten und historische Tatsachen.“ Damit beschreibt sie auch gleichzeitig ihr neues, ein weiteres Aufgabenfeld. Im Juli 2007 hat sie eine Neugründung der Domowina OG Lübben initiiert und ist deren Vorsitzende. Diese kleine elitäre Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, die sorbisch/wendische Sprache zu bewahren und zu fördern.

Peter Becker, August 2009

Fotoalbum Christl

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