Was schenkt ein längst erwachsener Sohn seiner immer noch rüstigen Mutter zu Weihnachten? Genau! Eine Bandsäge! „Darüber habe ich mich riesig gefreut, nun kann ich mir endlich meine Leisten selber passend schneiden und muss mich nicht immer durch die Baumarktangebote wühlen!“ Doris Jürroch hätte auch eine talentierte Handwerkerin werden können, denn mit Technik kann sie gut umgehen und verfügt hier über ein großes Geschick, wie sie später vielfach nachweisen konnte. Doch das Schicksal stellte erst einmal ganz andere Weichen: Jenseits der Neiße geboren musste die Siebenjährige im Spätwinter 1945 Flucht und Vertreibung erleben. Mit der Mutter, dem Opa und dem vier Jahre älteren Bruder ging es mit Pferd und Wagen bis nach Ragow. Der Vater war an der Front und fand seine Familie erst viel später wieder. Er war von Hause aus Landwirt und konnte sich keine andere Arbeit vorstellen. Außerdem war in den Nachkriegsjahren die Auswahl nicht besonders groß, auch eine Heimkehr auf die Scholle der Väter war bald ausgeschlossen. Die Pacht eines kleinen Landwirtschaftsbetriebes in Ragow half der Familie, diese schweren Jahre einigermaßen zu überstehen. Doris arbeitete nach der 8. Klasse zeitweise in einer Gurkeneinlegerei und teilte ansonsten das Schicksal aller Landjugendlichen: Wann immer es notwendig war – und das war es eigentlich immer-, musste im elterlichen Betrieb mitgeholfen werden. Besonders in der Ernte war jede Hand gefragt. Auf Blasen an den Händen von Mistgabel und Harke, Rückenschmerzen vom Kartoffellesen oder gar der Wunsch, sich mit Gleichaltrigen zu treffen und einfach mal nur so rumzusitzen, konnte keine Rücksicht genommen werden. „Erst die Wirtschaft, dann das Vergnügen“, war das geflügelte Wort jener Zeit.
Ein Angebot, in der Ragower Kinderkrippe für ein paar Monate auszuhelfen, erschien dem jungen Mädchen wie ein Geschenk. Auf eigenen Beinen stehen, selbst Geld verdienen und den Eltern nicht mehr auf der Tasche liegen war damals ihr erstrebenswertes Ziel. Aus den „paar Monaten“ wurden dann 30 Jahre. In der Arbeit mit den Kindern zeigte sich auch bald ihr Basteltalent. Sie konnte und kann heute immer noch sehr gut improvisieren: Aus dem vorhandenen Material, meist aus der Natur geholt, schuf sie wahre Meisterwerke. Besonders ihre Heufiguren sind einfach nur schön und werden ihr auch gern auf den Märkten abgenommen. Mit der Heirat 1962 zog sie zu ihrem Herfried auf dessen Hof nach Groß Radden. Die weiträumige, nun nicht mehr so wie früher benötigte Hofanlage, bietet Platz zum Basteln und vor allen Dingen für die vielen Ergebnisse ihrer Tätigkeit. Sogar ein kleines Museum hat sie sich im alten Ziegenstall eingerichtet.
„Doris, mach mal…!“
Diesen Zuruf ihrer Nachbarinnen und der anderen Dörfler, der oft genug eine Aufforderung ist, hört sie immer dann, wenn es gilt wieder mal etwas Kniffliges zu bauen. So wollten die Groß Raddener Plinsebäcker bei einem Kahnkorso in Lübbenau mit einer alten Kochmaschine auf dem Kahn ordentlich viel Plinse backen und ans Ufer reichen. „Soweit der Plan“, erzählt sie. „Der alte Küchenofen war viel zu schwer, den hätten wir Frauen nie auf den Kahn gekriegt. Also blieben mir nur wenige Tage Zeit, das Ofenproblem zu lösen. Ich baute ganz einfach den alten Ofen nach, aber nur äußerlich. Innen und obendrauf kam ein moderner Gaskocher. Auf dem Kahn sieht mein Leichtbau-Ofen wie ein echter aus.“ Ein wenig schmunzeln muss sie dann doch, wenn sie vom Ufer hört, dass die Plinse nur deshalb so gut schmecken, weil sie auf der alten Küchenmaschine gebacken wurden.
Doris Jürroch ist die gute Seele, ohne die eine Dorfgemeinschaft nicht auskommt. Sie näht Kostüme für die Dorffeste nähen oder übernimmt das Handwerkliche, wenn es um die Ausgestaltung von Umzugswagen oder einfach auch mal nur um ein paar schön gestaltete Details geht. „Mit meiner Bandsäge ist das jetzt alles erst recht kein Thema mehr!“ Geschickt zeigt sie sogleich, wie sie Rahmenleisten ablängt. „Ich mache das alles auch sehr gern, ich helfe wo ich kann. Einfach so vorm Fernseher rumsitzen ist für mich undenkbar!“ Doris Jürroch ist mit ihrem Stand deshalb auch auf vielen Volksfesten der Region anzutreffen. Ihr ist der Verkauf eher nebensächlich. Viel wichtiger ist ihr, sich einzubringen, mal das eine oder andere Gespräch zu führen und um auch mal ein paar Anregungen für ihre Gestaltungsideen zu bekommen. In Gedanken formt sie dann schon ihre neueste Kreation. Vor den umständlichen Sägearbeiten graut es ihr seit letztem Weihnachten nicht mehr – sie hat ja eine Bandsäge.
Peter Becker/peb1, 27.05.2011
Die Fam. Jürroch ist alteingesessen. Der Name ist als "Yeroch" 1524 erstmals in Ragow nachgewiesen. Der Name leitet sich vom slaw. "jar" ab, das sich z.B. in Jaroslaw findet und "kühn, eifrig" bedeutet. (Quelle: H.-J. Jänsch)
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