Lübbenauer Altstadt, Karl-Marx-Straße 82. Ein schickes Einfamilienhaus reiht sich in das aufgeräumte Viertel ein, nichts deutet auf etwas Besonderes hin. Beim ersten Blick. Beim zweiten Hinschauen bleibt das Auge am beschrifteten Kuchenblech hängen, das am Eingang baumelt und auf Öffnungszeiten eines „Lübbenauer Hofgartens“ verweist. Es macht neugierig, der Betrachter fühlt sich angezogen, die Neugierde ist geweckt. Kaum ist der Besucher wenige Schritte auf dem Hof gegangen, hat er vergessen, inmitten einer Stadt zu sein. Doreen Hasse-Quente, die Gärtnerin, führt den Gast in eine andere Welt - in einen Garten Eden. Auf den folgenden 5000 Quadratmetern reihen sich uralte Obst- und Beerensorten, Wildkräuterwiesen und alte Blumenstauden. Der Garten hat keinen Zaun und vermittelt so noch mehr Größe. „Ich musste erst mal teilen lernen“, erzählt die Gärtnerin, die seit zehn Jahren das Gelände hegt und pflegt. „Teilen mit den Tieren, dem Stadtwild. Die Rehe halten die Sträucher kurz und nehmen mir das Verschneiden ab. Anfangs war ich auf Kampf und Verteidigung aus, nun habe ich mich partnerschaftlich arrangiert - inzwischen scheinen wir uns zu mögen und zu respektieren“, so Doreen Haase-Quente. Sie weiß, dass die Tiere nur nehmen, was sie brauchen. Im Winter füttert sie sogar noch etwas zu. Doreen, Jahrgang 1964, wuchs in unmittelbarer Nachbarschaft ihres heutigen Anwesens auf, arbeitete dann als Gärtnerin bei den Lynars und später im Amt Altdöbern. Gesundheitliche Probleme, privates Ungemach, aber auch neues Glück, führten sie 2002 auf dieses Grundstück. Es wird an der schmalen Seite vom Kleinen Recklingraben begrenzt. „Hier bin ich als Fünfjährige mal mit der Zinkwanne zu Opa Franzi (Franz Händler) nach Stottoff gepaddelt und habe dort voller Stolz angelegt - und beinahe eine Tracht Prügel bekommen. Damals war das Fließ noch tief und nicht so verschlammt wie heute, ich hätte leicht ertrinken können“, erinnert sie sich an ihren Kinderstreich. Nun soll das kleine Fließ für Kneipp-Kuren herhalten, doch dazu muss Ehemann …. sich als Gewässerbauer betätigen, entkrauten und entschlammen. „Das wird auch bestimmt bald werden, bisher hat er mir alle möglichen und unmöglichen Wünsche erfüllt“, ist sich die Sinnes-Gärtnerin sicher. Gleich neben dem Flüsschen ist die Yoga-Wiese und eine uralte Laube. Darin ein stählernes Bettgestell mit Ziegenfell und eine Waschschüssel aus den Zwanziger Jahren. Genervte Großstädter pflegen hier auszuruhen, lesen hier mal in völliger Abgeschiedenheit ein Buch oder einfach nur die Zeitung und tun einfach mal gar nichts. Wem das noch nicht beim Stressabbau hilft, bekommt von Doreen Haase-Quente Elfenpost gereicht. „Mein Gast schreibt sich alle Sorgen vom Laib. Er muss dann über vieles nachdenken, die Dinge ordnen und Wichtiges vom Unwichtigen in seinem Leben trennen“, erklärt Doreen Haase-Quente. Ist der Brief fertig, wird er abgeschickt - ins Feuer. Alle Sorgen lösen sich in Rauch auf. So die Philosophie der Gärtnerin, die sich in ihrem Konzept vom Naturerlebnis und Entspannungstechnik widerspiegelt. In ihrem Garten gibt es keine Unkräuter, nur Wildkräuter. Keine Schadinsekten, nur Nutztiere. Ihre Dekorationen haben eine Seele, sie stammen nicht aus dem Baumarkt oder dem Katalog. „Die Figuren, die Eisengitter, die Vogeltränken - alles ist uralt und ist schon durch viele Hände gegangen. Sie atmen und sind Zeugnisse menschlichen Tuns. Probleme mögen im Moment manchmal dramatisch sein, aber im Zeitraffer der Geschichte betrachtet, sind auch sie vergänglich.“ Einige ihrer Deko-Elemente gibt sie auch ab: „Geschichte zum Mitnehmen“. Am Ausgang, kurz bevor der Besucher wieder in das hektische Leben eintaucht, befindet sich ihr „Schniekefitz-Laden“. Hier gibt es so ziemlich alles, was im Leben mal jemanden etwas bedeutet hat. Von der alten Kaffeemühle über den Kerzenständer bis hin zur Trinkflasche aus Ton. Und es gibt die Früchte des Gartens, als Tee, als Marmelade oder auch nur als Trockengesteck. „Ich bin selbst immer wieder neu erstaunt, was möglich ist. Alles ist irgendwie verwertbar und gesund. Entweder als Nahrungs- oder Gewürzmittel oder einfach nur, weil es schön ist und der Seele gut tut“, ist sich die Gärtnerin sicher.
Lübbenauer Hofgarten, Karl-Marx-Str. 82, geöffnet Mittwoch, Freitag, Samstag von 10.00 bis 18.00 Uhr oder nach Voranmeldung unter 03542/3206
Peter Becker/peb1, 22.08.12
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