Ernst Krügermann

Ernst Krügermann, Lübbenau

  • Gurkenverarbeiter a.D.

Über den Hof surren Gabelstapler kreuz und quer, Förderbänder befördern Gurken in die Waschanlagen, Gläser klirren, die Rufe der Arbeiter … das alles ist Musik in den Ohren von Ernst Krügermann. Zufrieden lächelnd sitzt der 76-Jährige auf der Terrasse seines Wohngrundstückes, das an das Firmengelände grenzt. Er weiß seine Firma, der er Jahrzehnte vorstand, in guten sicheren Händen. Sohn Matthias lenkt seit 2007 die Geschicke des über 100 Jahre alten Lübbenauer Traditionsunternehmens.
Ernst Krügermann hat viel erlebt und die Firma durch schwierigstes Fahrwasser geführt. Begonnen hat alles am ersten schwärzesten Tag seines Lebens, dem Jahrzehnte später noch ein weiterer folgen sollte: Der Vierzehnjährige war mit seinem drei Jahre älterem Bruder Kurt und Vater Carl am 30. August 1949 mit Traktor und zwei leeren Hängern unterwegs ins Oderbruch. Nur dort gab es noch freie Kontingente an Gurken, die heimischen Spreewaldgurken wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht für die Versorgung ihrer Truppen konfisziert. Bei einer steilen Abfahrt nahe Lebus versteuerte sich der Vater und stürzte mit dem Zugfahrzeug um, die nachfolgenden Hänger mit den Jungen drauf überrollten ihn tödlich. Wie durch ein Wunder verletzten sich die beiden Brüder nur leicht. „Solch ein Bild vom sterbenden Vater vergisst niemand, das bleibt ein Leben lang“, so Ernst Krügermann heute rückblickend. Ab diesem Tag änderte sich vieles: Mutter Martha übernahm die Firma. Gemeinsam mit Kurt versuchte sie den Vater zu ersetzen. Martha Krügermann stand mit den sechs Kindern und der Hauptverantwortung für die Firma vor schwierigen Aufgaben.

Jung in die Verantwortung

Ernst Krügermann, der Jüngste, lernte ab 1950 den Beruf eines Obst- und Gemüsekonservierers in Beelitz. Ihm war klar, dass er einmal die Firma führen wird und eine gute Ausbildung die wichtigste Voraussetzung dafür ist. Aber nach der Lehre ging er erst mal in den VEB „Fortschritt“. Die volkseigene Stennewitzer Firma war ebenfalls ein Konservierungsbetrieb, hier wollte er sich umsehen und Neues lernen. Einer Werbung zur Kasernierten Volkspolizei widerstand er erfolgreich: „Was wollt ihr von mir? Meine Schwestern leben alle im Westen“, entgegnete er den Werbern. Bald war auch Bruder Kurt nicht mehr da. Er resignierte an der Mangelwirtschaft und immer größeren Auflagen des Staates. Ernst Krügermann stellte sich der Verantwortung und übernahm 1961 den Betrieb. Ein Jahr zuvor hatte er seine Frau kennengelernt und geheiratet. „Sie stammt aus Vetschau, aber getroffen haben wir uns zum ersten Mal an der Ostsee, in Ahlbeck“, erzählt er aus der Zeit des Kennenlernens. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Ulrike, Beate und Matthias, der heutige Firmenchef.
In den Jahren nach der Übernahme der Firma wurden die Bedingungen immer schlechter. Es gab kaum Maschinen oder Ersatzteile für die teilweise uralte Technik. Diese blieben den volkseigenen Betrieben vorbehalten, den privat geführten Unternehmen sollte wohl das Überleben erschwert werden, sie sollten aufgeben und sich den VEB’s anschließen. „In alten Holzfässern aus den Dreißigern, immer wieder repariert von Lübbenauer Böttchern, versuchten wir Sauerkraut und Gurken pünktlich zu unseren Großkunden zu bringen, was auch meist gelang. Daneben wurden die Gurken auch schon in Blechkonserven und in Gläser gestopft, aber alles noch in aufwendiger Handarbeit.

Der zweite "schwarze Tag"


Unmittelbar vor der neuen Saison, zu Pfingsten 1972, erfolgte die irgendwie schon lange erahnte Enteignung – der zweite schwarze Tag im Leben des Ernst Krügermann. „Ich hatte schon am Freitagabend von einem Freund, der beim Rat der Stadt Lübbenau arbeitete, erfahren, ‚dass nun auch ich dran sei‘“ erinnert sich Ernst Krügermann. Die folgenden Feiertage waren alles andere als schön, die Gedanken der Familie kreisten um das, was nun unweigerlich kommen würde. Am ersten Arbeitstag nach den Feiertagen standen morgens sieben Männer vor dem Tor, einer hielt ihm einen Wisch mit dem Verstaatlichungsbeschluss vor das Gesicht. Ernst Krügermann durfte nichts mehr anfassen oder verändern. Das private Kapital wurde eingezogen und in der Folge mit 93 Prozent versteuert, die Maschinen und Waren wurden lückenlos erfasst und zu Volkseigentum erklärt. „Wir waren drei Leute zu viel, mit zehn Mitarbeitern standen wir auf der Verstaatlichungsliste ganz oben. Wenigstens durften alle bleiben, und ich wurde über Nacht Betriebsdirektor meines eigenen Betriebes mit einem monatlichen Festgehalt von 500 DDR-Mark.“ Damit nicht genug, nur zwei Jahre später erfolgte eine Konzentration der 28 Gurkeneinlegerbetriebe, die mal Mitglied der „Genossenschaft der Obst- und Gemüsekonservierer Lübbenau“ waren. Der ehemalige Krügermann-Betrieb wurde nun das Werk „Nr. 10“ in dieser Vereinigung. Die Umstruktuierungen änderten allerdings nichts daran, dass die Versorgung mit Maschinen und Ersatzteilen immer schlechter wurde. Reparaturen konnten, bei allem Erfindungsreichtum der Mitarbeiter, kaum noch durchgeführt werden. Die politische Wende kam da wie eine Erlösung: „Endlich gab es alles zu kaufen, wir konnten frei entscheiden was und wie viel wir produzieren und wen wir es verkaufen. Allerdings musste ich vorher noch, am 15. Juli 1990, für 55 000 DM meine eigene Firma von der Treuhand zurückkaufen. Die Firma, 1896 von meinem Großvater August-Karl Krügermann gegründet, war wieder im Schoß der Familie. Fairerweise muss auch berichtet werden, dass die Firma schon einmal gekauft werden musste. Mein Vater erwarb sie 1918 vom Amtsgericht in Lübbenau. Großvater war wohl ein guter Fachmann, aber nicht so gut in der Unternehmensführung, so dass es zur Pfändung kam.“ Ernst Krügermann investierte Millionen in neue Maschinen, die teilweise vollautomatisch arbeiten. Die fast 20 Meter lange Pasteurisierungsmaschine begeistert ihn noch heute: Vorn kommen die Gurken in die Gläser und wandern in 35 Minuten durch die Anlage, um hinten als verkaufsfertige Glaskonserve wieder rauszukommen.

Im ruhigen Fahrwasser


Er hat jetzt Zeit, die Dinge etwas langsamer angehen zu lassen. Er ist aber immer noch aktiv in der Schützengilde zu Lübbenau, deren Ehrenvorsitzender er „mit allen Auszeichnungen“ ist. Ernst Krügermann hatte den Verein nach dem Vorbild der bis 1945 in Lübbenau aktiven Vereine gegründet. Schon Vater Carl war damals Hauptmann der Schützengilde-Jägerkompanie. „Mit Hilfe meiner in Köln lebenden Schwester ließ ich Anfang der Neunziger von den dortigen Karnevalsschneidereien Uniformen nähen, unser ganzer Stolz bei den Festumzügen“, schwärmt Krügermann.
Wenn er auch nicht mehr ganz gut zu Fuß ist, so scheut er doch weite Reisen nicht. Schon zweimal war in Los Angeles, wo sein damals in den Westen geflohener Bruder Kurt ebenfalls einen Gurkenkonservierungsbetrieb führt, und das genau so erfolgreich.
Gern hilft er noch hier und da auf Bitten seines Sohnes und Nachfolgers, hält sich aber aus dem Geschäftlichen heraus. Und er freut sich jeden Tag neu auf die Mittagszeit: Seine Frau Ingrid hat, wie in den vielen Jahren zuvor schon für die ganze Belegschaft, wieder Essen gekocht. Diesmal in einem etwas kleinerem Rahmen, nur für die Krügermann-Familie zu der auch die Söhne des Nachfolgers gehören, Alexander und Karl. Hier treffen sich alle und nehmen mal eine kurze Auszeit im pulsierenden Unternehmen. Eine Zeit, um mal an Mutters und Großmutters Küchentisch den Vormittag Revue passieren zu lassen und um neue Pläne zu beraten. Der weise Rat des Seniors verbleibt dabei ganz sicher nicht ungehört. Er steht noch mitten im Leben und verfolgt die Nachrichten aus Politik und Wirtschaft.
Langsam leeren sich die Stühle, die jungen Leute gehen wieder an die Arbeit. Mutter Ingrid steht vor einem Berg Abwasch und Vater Ernst geht in den Garten, um dort nach dem Rechten zu sehen. „Dieser Garten hat uns schon viel geholfen. Noch heute bauen wir immer noch die meisten Einlege-Kräuter selbst an. Wir wissen, wie wir Pflanzen mit hoher Würzkraft heranziehen können – vielleicht liegt darin der Grund unserer bewährten Gurkenrezepte? Kenner sagen, dass man Krügermann-Gurken eindeutig am Geschmack erkennt“, antwortet er weise lächelnd auf die neugierige Frage nach einem Geheimrezept. Wenn er im Garten ist, vergisst er auch manchmal seine Schmerzen in den Beinen. Die Gehhilfe lehnt dann schon mal am Zaun, wenn er die Harke nimmt und wieder mal Ordnung in den ohnehin schon ordentlichen Garten bringt.

Nachtrag: Am 16.02.2012 verstarb Ernst Krügermann


Peter Becker, 10.08.11

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