Im inneren Spreewald geht das Erwachsenwerden etwas anders. Zuerst kommt wie überall das Laufen, aber danach schon das Schwimmen, später das Kahnfahren und das Schlittschuhlaufen. „Wer wie ich auf einer Insel groß geworden ist, für den kann das Schwimmen eine Lebensversicherung sein“, erzählt Günter Brandt (Jahrgang 1951), der in Lehde aufgewachsen ist. Seine Eltern Fritz und Liesbeth Brandt achteten sehr auf diese Reihenfolge. Schwimmunterricht konnten sie nicht erteilen, dafür fehlte die Zeit. Diesen bekam der kleine Junge von den Großen aus den Nachbarschaft. So wie die es mal früher von den Großen vermittelt bekamen. In der intakten Gemeinschaft gehörten Fürsorge und Hilfe ganz selbstverständlich zum dörflichen Leben. „Wir konnten schon vor dem Laufen Kahn fahren“, erzählen viele Spreewälder aus ihrer Kindheit. Was so natürlich nicht stimmt, aber verdeutlicht, wie wichtig die Fortbewegung mittels eines Kahnes ist. Auch Günter Brandt fuhr bald, zuerst mit dem kleinen, dann mit immer größeren Kähnen auf die Äcker der Familie. Meist brachte er das Essen zum Vater, der dort arbeitete. Später brachte er auf den Rückfahrten Gras für die Tiere im Stall mit. Mit wachsender Größe und Kraft, wurden die Lasten größer. Schon sicher im Staken, passierte ihm dann doch mal ein Missgeschick: Irgendwie war er mit dem vollen Mistkahn zu schnell unterwegs. Ein Wellenschlag reichte, um den Kahn in Sekunden auf den Grund zu schicken. Mit Nachbarschaftshilfe und Seilwinden konnte er dann wieder ans Ufer gezogen werden. Der Mist war natürlich fortgespült.
Seine Ausbildung machte Günter Brandt bei Schlossermeister Rudolf Kühnel in Ragow. „In dem kleinen Betrieb haben wir alles gelernt, was man so lernen kann. Wir haben Traktoren zerlegt und repariert, wir haben Landmaschinen instand gesetzt, aber auch gemauert, geputzt und gemalt – alles was anlag, wurde gemacht“, erinnert sich Günter Brandt an eine Lehrzeit, die vieles fürs spätere Leben abdeckte und die es so heute nicht mehr gibt. Kaum ausgelernt, wurde er zur Bereitschaftspolizei nach Cottbus eingezogen. „Diese trug ihren Namen nicht zu unrecht, wenn auch in ganz anderem Sinne“, blickt er zurück. „Die Hälfte der Dienstzeit verbrachten wir in Kraftwerken und Tagebauen in Bereitschaft, um dort die Stromversorgung im Notfall aufrecht zu erhalten. Und den Notfall gab es eigentlich immer, besonders im Winter.“ Zurück im Ragower Betrieb, nun als Landmaschinen- und Traktorenschlosser tätig, musste er sich bald wieder nach einer neuen Arbeit umsehen. Die Firma sollte wegen ihrer Größe verstaatlicht werden. Meister Kühnel sah nur den Ausweg des Schrumpfens auf die Größe eines Familienbetriebes und musste Personal abbauen. Er war aber seinen Mitarbeitern sehr behilflich bei der Beschaffung neuer Arbeit. Günter Brandt bekam eine Stelle als Kraftfahrer beim Rat der Stadt Lübbenau und war dort praktisch Mädchen für alles. Fahrten fielen wegen Benzinknappheit immer öfter aus, dafür mussten Besorgungen und Reparaturen getätigt werden – irgend etwas fehlte immer oder war ständig defekt. Dank seiner guten Ausbildung war das für ihn nur selten ein Problem. In der Wasserwirtschaftsdirektion fand er bald eine Stelle, die ihn wieder befriedigte. Er war wieder ganz nah an seinem geliebten Spreewald, war für Wasserregulierungsarbeiten zuständig und für Uferreparaturen. Diese Arbeit führte er unter verschiedenen Zuständigkeiten und in verschiedenen Verantwortungen bis zum Vorruhestand 2011 aus. Gern erinnert er sich an strenge Winter, wo er mit seinen Mitarbeitern auf Schlittschuhen unterwegs war. „Wir konnten so am Tag manchmal bis zu 30 Fließkilometer kontrollieren und waren dabei noch sportlich unterwegs.“
Nach dem Grundwehrdienst lernte er beim Hindenberger Maskenball seine Karin aus Stöbitz kennen. Die beiden heirateten 1974 und feierten bei Müller & Jäger in Lübbenau ihre Hochzeit. Hier kam die dörfliche Gemeinschaft wieder einmal zum Tragen. Seine Lehder Freunde, die Fischer und die Feuerwehrkameraden, gingen tags zuvor auf Fischzug durch die Fließe um Lehde und fingen ausreichend Fisch fürs traditionelle Hochzeitsmahl. „Das ist auf dem Dorf so üblich. Wer es sich zur Hochzeit wünscht, bekommt frischen Fisch aus dem Spreewald, quasi das Hochzeitsgeschenk“, erzählt Günter Brandt von diesem Brauchtum. Er verhehlt dabei aber auch nicht, dass das immer schwieriger wird. Inzwischen ist er der Vorsitzende des Verbandes der Spreewaldfischer in Lübbenau und Umgebung e.V. und weiß um die Nöte der Fischer und die des Spreewaldes. Er wird nachdenklich, wenn er in die Zukunft blickt: „Immer mehr der ehemaligen Stichgräben, die die Bauern zu ihren Feldern in Jahrhunderten angelegt hatten, wuchern zu und fallen als Laichgewässer aus. Die Felder drohen zu Versteppen, der Strauch- und Baumwuchs erfolgt unkontrolliert. Laub wird in großen Mengen in die Fließe getragen und führt zur Verschlammung. Das neue Problem, die Verockerung, macht alles noch schlimmer.“ Günter Brandt sieht als ein in der Natur Aufgewachsener die Probleme vielleicht etwas früher und warnt, vor übermäßigen Naturschutz. „Ich habe den Eindruck, dass manchmal Nichtstun wegen Geldmangels oder auch Nichtwollens mit den Selbsterholungskräften der Natur begründet wird.“
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