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„Irgendwie wollte das Schicksal nicht, dass ich im Spreewald geboren wurde, obwohl er mein Lebensmittelpunkt werden sollte. Als meine Mutter 1967 mit mir niederkam, musste sie zur Entbindung bis nach Guben. Alle spreewaldnahen Entbindungsstationen waren überfüllt“, weiß Hagen Conrad an seine Geburt. Die ersten Kindheitserinnerungen haben dann doch wieder sehr viel mit dem Spreewald zu tun. Die Burger Schwarze Ecke Nr. 1, das Elternhaus, liegt an der Spree. Ein Junge, der am Wasser aufwächst, dort den Wechsel der Jahreszeiten erlebt, wird Zeit seines Lebens davon geprägt sein. Später, beim Studium der Landwirtschaft in Berlin, noch später in der Cottbuser Neubauwohnung, wurde ihm erst so richtig bewusst, in welcher Umgebung er aufgewachsen ist und was ihm eigentlich fehlt. „Ich hatte ja wenigstens Landwirtschaft studiert, um auch öfter in der Natur zu sein, aber nach der politischen Wende brauchte niemand einen Agr. Dipl. Ing!“ In der Zeit des Umbruchs folgte eine Tätigkeit bei einem Kolkwitzer Gartenbauunternehmen mit nur mäßig gutem Lohn. Eine schwere Erkrankung des Bruders, der auf dem elterlichen Grundstück seit einiger Zeit einen Bootsverleih betrieb und Kahnfahrten anbot, rief ihn zurück in den Spreewald. „Hier habe ich mich sofort wieder wohl gefühlt, und Geldverdienen kann man mit dem Tourismus auch“, schätzt er die neu gewonnene Erfahrung ein. Als der Bruder wieder genesen war, stellte er Hagen ein und übertrug ihm, dem Redegewandten, die Werbung für das Unternehmen. „Mir wurde bald klar, dass wir uns abheben müssen von den anderen Kahnfahrunternehmen, wir müssen besser sein und noch individueller auf die Gäste eingehen“, schlussfolgerte er und versuchte seine Ideen umzusetzen. In diese Zeit fiel eine Schenkung des Großvaters: Er übertrug ihm das Grundstück Kauper 145 (heute Weidenweg 4). Was sich wie ein Glücksfall anhört, stellte sich erst einmal als großes Problem dar: Das riesige Grundstück wurde früher von der Landwirtschaft als Abstellfläche benutzt, überall nur verrostete, verrottete Technik und verfallene Scheunen und Schuppen – eine schier unlösbare Aufgabe, zumal er in der Saison von morgens bis abends beim Bruder Kahn gefahren ist. Die knappe und unwirtliche Winterzeit reichte nicht zum Aufräumen. „Manchmal saß ich beim Bruder und wartete auf Gäste. In der Zeit hätte ich schon wieder eine Müllecke aufräumen können“, blickt er zurück. Beide Grundstücke lagen zu weit voneinander entfernt, um einfach „mal schnell“ hin und her zu pendeln. „Wenn ich schon warten muss, dann kann ich das doch eigentlich ganz gut auch auf meinem eigenen Grundstück mit dem Vorteil, dabei auch etwas zu schaffen“, lautete seine Überlegung. Folgerichtig wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und bot nun selbst Kahnfahrten an, jetzt ab „Hagens Insel“, wie er das ererbte Grundstück bald bezeichnete. Nun konnte er sein Konzept von den kulturvollen Kahnfahrten angehen. Seine Holzkähne bekamen geräumige Bänke mit Tischen, darauf immer frischer Blumenschmuck in liegenden Vasen. Eine benachbarte Töpferei fertigte die Gefäße und nun war Schluss mit dem ewigen Umkippen und Verschütten des Blumenwassers wie es bei manch feucht-fröhlichem Betriebsausflug gelegentlich mal vorkommt. Lieber sind ihm aber solche Gäste getreu dem Motto Eugen Roths: „Man sollte nur die leisen Rassen und nicht die lauten reisen lassen!“ Bei seinen Kahnfahrten zitiert er Rilke und Goethe und unterscheidet sich dadurch wohltuend von manchen Zunftkollegen, die mit platten Witzen die Gäste zu unterhalten meinen. Der redegewandte Fährmann ist äußerst anpassungsfähig und kann sich auf seine Gäste schnell einstellen. Dies brachte ihm auch die Achtung und die Anerkennung so manches weiblichen Fahrgastes ein. Eine Bankerin aus Berlin fasste sich ein Herz und stellte nach einigen Fahrten den Kontakt zu „ihrem Fährmann des Herzens“ her. Nach Monaten gegenseitigen Kennenlernens zog Ramona die Highheels für immer aus und zu Hagen auf die Insel. In Gummistiefeln führt sie nun die Gäste über die Wiesen und vermittelt ihnen ihr Wissen als Kräuterhexe. In diese Rolle ist sie ganz bewusst geschlüpft und trägt den Titel auch gern – ein völlig anderes Leben als in der Großstadt, aber glückseligmachend. Peter Becker/peb1, 14.05.2011
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