Harry Lierka

Kahnfahrer, Wasserbauer, "Gendarm" aus Boblitz

Wohl jeder im Spreewald hat den hoch aufgeschossenen Mann mit aufgezwirbeltem Kaiserbart in der blauen Uniform eines preußischen Gendarmen schon einmal gesehen. Was bei der Körpergröße und der krönenden Pickelhaube auch nicht sonderlich schwierig ist. Als Mitglied des Rubiško-Vereins und des Lübbenauer Schützenvereins „Roter Adler“ ist Harry Lierka bei jedem Fest und Festumzug dabei. Wie es sich für einen Gendarmen gehört, sorgt er hier für Ordnung und Disziplin: Raucher werden im Lehder Freilandmuseum streng ermahnt, beim Umzug der Zamperer hilft er den Hexen über die Straße, dabei rigoros den Autoverkehr stoppend. Mit seinem Uralt-Fahrrad begleitet er Festumzüge und eilt schon mal zur Absperrung voraus.

So richtig weiß Harry Lierka, der 1951 in Boblitz geboren wurde und dort immer noch lebt, nicht, woher seine Begeisterung für das Preußische kommt. Vielleicht gefällt es ihm, wenn alles geregelt ist und seine Ordnung hat. Vielleicht ist es auch sein Faible für das Militärische, denn als treffsicheres Mitglied der „Roten Adler“ wurde er schon dreimal Schützenkönig. In seinem gut gesicherten Panzerschrank bewahrt er historische Waffen auf, darunter eine Pistole 08 von 1920 und einen Karabiner 98, der in den dreißiger Jahren für die persische Armee von deutschen Waffenschmieden gefertigt wurde. Alles genehmigt und ordentlich gesichert - worauf der Boblitzer großen Wert legt.

Vom starken Kahnfahrmann

Das elterliche Grundstück, das er inzwischen mit seiner Monika bewohnt, liegt an der Boblitzer Kahnfahrt. „Von hier aus fuhren schon in den dreißiger Jahren Kähne mit den Tagestouristen ab. Die Besucher kamen durchs Gartentürchen, überquerten unser Grundstück und stiegen in die Kähne. Die Nachfrage war oft so groß, dass oft nicht genug Fährleute zur Verfügung standen“, erinnert er sich an florierende Zeiten.  Diese Nachfrage war es, die den halbstarken Dreizehnjährigen zu einer starken Leistung hinreißen ließ: Er sagte kurzerhand zu, eine Tour nach Burg ins Kurhotel und zurück zu übernehmen. „Schließlich war ich erst Tage zuvor mit meinen Schulfreunden zum Angelausflug mit dem Kahn im Spreewald gewesen. Da werde ich doch wohl auch diese Fahrt locker hinbekommen“, dachte Harry damals. Müde und zerschunden kam er spätabends wieder in Boblitz an, alles war gut gegangen. Die Gäste kamen zwar leicht verspätet, aber letztlich unbeschadet wieder in ihre Busse. Harry pflegte inzwischen seine Blasen und seinen geschundenen Rücken. „Ich hatte Lehrgeld bezahlt und war zukünftig etwas vorsichtiger bei der Übernahme solch großer Touren. Außerdem besuchte ich erst mal Kurse und Lehrgänge, um dann später, aber immer noch als Jugendlicher, ganz offiziell Kahnfahrten machen zu dürfen.

Von den Schwierigkeiten, zueinander zu kommen

Harry Lierka hatte inzwischen eine Lehre als Instandhaltungsmechaniker im Kraftwerk Lübbenau beendet und auch dort eine Arbeit gefunden. Wie viele seiner Kollegen nutzte er die Sommerzeit, um sich als Fährmann ein Zubrot zu verdienen. Bei einer solchen Fahrt im August 1974 saß kurz vor ihm eine hübsche Henningsdorferin mit langen schwarzgelockten Haaren. Er hatte sofort ein Auge auf sie geworfen, dabei noch nicht wissend, dass unmittelbar vor ihm im Kahn ihre Mutter saß. Sie nahm amüsiert die Flirtversuche des Fährmanns zur Kenntnis und ahnte wohl schon, dass es das der zukünftige Schwiegersohn sein wird. Die Besuche in Henningsdorf gestalteten sich allerdings schwierig. Nicht wegen der Schwiegermutter, sondern wegen der dortigen Sperrzone. Das Haus der Zukünftigen stand direkt an der Mauer zu Westberlin und durfte nur mit Passierschein betreten werden, eine Übernachtung war ausgeschlossen. Da half nur eine baldige Verlobung - und Harry durfte nun mit Stempel und Unterschrift ganz offiziell zu seiner Monika!  Das Paar heiratete 1976 und die Kinder Kathrin und Stefan kamen 1977 und 1980 zur Welt. Inzwischen wurde auch die Scheune auf dem elterlichen Boblitzer Grundstück zum Wohnhaus umgebaut, um Platz für die wachsende Familie zu schaffen. Harrys Arbeit im Kraftwerk endete 1993 im Rahmen der Stilllegung und es folgten fünf Jahre der Arbeitslosigkeit. In den Sommern waren Kahnfahrten eine willkommene Unterbrechung auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit, die er dann beim Tief- und Wasserbau Boblitz fand. „Mit dem Saugbagger haben wir die Fließe entschlammt und dabei so manches zutage gefördert: Uhren, Handys, Kameras und Fahrräder“, erinnert er sich an Arbeitsunterbrechungen, weil mal wieder etwas verstopft war. In Lehde war es immer besonders schlimm, denn dort wurde viel Müll aus den Fließen geholt. „Wo sollten die Lehd’ schen auch früher ihre Abfälle entsorgen? Eine Müllabfuhr wie heute gab es noch nicht“, zeigt sich Harry Lierka verständnisvoll.

Seine Freizeit widmet er der Boblitzer Feuerwehr, der er seit 1968 angehört. Viele Jahre war er auch als Sommerbiathlet erfolgreich. „Da müssen immerhin 4000 Meter gelaufen und zweimal stehend und zweimal liegend geschossen werden. Das erfordert schon eine ruhige Hand“, erzählt er aus dieser aktiven Zeit. Hinzu kommt noch seine rührige Mitarbeit in den beiden Lübbenauer Vereinen. Als Mitglied des Schützenvereins war er 1991 auf der Suche nach einer geeigneten Uniform. In der Festung Spandau stieß auf die dort ausgestellte Uniform eines preußischen Festungspolizisten. „Die soll es werden!“, entfuhr es ihm sofort. Mithilfe eines Fotos fertigte dann ein Schneider in Bremervörde ein originalgetreues Abbild. Bei Vereinsausflügen nach Tirol und nach Berlin trug er die Uniform, die ihn zum meist fotografierten Mitglied machte. „Besonders schlimm war es in Berlin am Brandenburger Tor, wo ich mich bei der ‚Lenkung‘ der Fußgängerströme, die ohnehin ‚Grün‘ hatten, nützlich machte: Immer wieder musste ich vor den Fotoapparaten aus aller Welt posieren, besonders vor denen aus Japan!“

Seit dem 11.11.11 ist er nun im Vorruhestand und will sich neben der Vereinstätigkeit wieder verstärkt dem Grundstück widmen. „Zuerst schaffe ich mir im Frühjahr wieder Laufenten an, die die vielen Schnecken in Schach halten. Die Enten werde ich dann wohl gegen die Füchse verteidigen müssen, denn eine des Vorjahres geht auf sein Konto. So etwas wird sich nicht wiederholen!“

 

Peter Becker, 15.02.12

 

 

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