„Kommen Sie nur rein, junge Frau, wir warten auch auf die Trachtenschneiderin!“ So oder so ähnlich wurde Johanna Sapjatzer in den ersten Jahren ihrer Selbständigkeit von den Damen in den Trachtenvereinen zwischen Cottbus und Burg begrüßt. Es mochte sich wohl niemand vorstellen, dass die zierliche junge Frau genau die bestellte Schneiderin und Anziehfrau ist. Jede der wartenden Damen hatte wohl das Bild einer betagten Dame vor Augen, die mit einem Koffer voller Trachten anreist. Das mit dem Koffer stimmte sogar gelegentlich, denn Johanna ist durchaus in der Lage, Trachten aus ihrem Fundus zur Verfügung zu stellen. Bis zur betagten Dame ist es für die 1969 als Lehrerstochter von Hans und Bärbel Bossan in Guhrow Geborene allerdings noch ein weiter Weg.
Eigentlich wollte Sie Porzellanmalerin in Meißen werden, aber irgendwie kam die Sache nicht voran. Opa Martin Bossan, ein Herrenschneider, ergriff die Initiative: „Kind, morgen unterzeichnest du in Cottbus beim Schneidermeister Henseler den Lehrvertrag“, bestimmte er rigoros - und so wurde es auch gemacht. „Anfangs war ich nicht so begeistert, als Herrenschneiderin zu arbeiten, aber dann gefiel es mir zunehmend besser. Ich wurde sogar ‚Lieblingslehrling‘ meiner Ausbilder - was die aber nicht daran hinderte, mich in Kittelschürze zum Kohlenschippen auf die Straße zu schicken. ‚Und dass du ja alle Leute grüßt!‘ wurde mir noch nachgerufen“, erinnert sich Johanna an die Cottbuser Zeit. Das Ende der Lehre fiel in die Wendezeit, Johanna kellnerte sich durchs Leben, schulte zur Kauffrau um, ohne jedoch eine Anstellung zu finden. Tochter Juliane kam 1993 zur Welt.
Der berühmte Zufall im Leben eines Menschen sollte sie auf einen neuen Kurs bringen. Mit Oma Marie Bossan, einer der letzten Alltags-Trachtenträgerin, war sie wieder einmal mit dem Auto zur Trachtenschneiderin Doris Heinze nach Sielow gefahren. „Willst du mir nicht helfen? Ich habe so viel Arbeit, immer mehr Leute bestellen Trachten bei mir!“, ließ sie Johanna wissen. Aus den angedachten „paar Stunden“ wurden dann sechs Jahre. In dieser Zeit lernte sie das, was sie als Trachtenschneiderin an Handwerklichem braucht und Tradition und Trageweise in den einzelnen Kirchspielen vorschreiben. Als Vorlage dienten oft alte Fotos, die aber manchmal auch Verwirrung stiften konnten. „In einigen Dörfern gab es zwar unterschiedliche Trachten, aber immer die gleiche Haube auf den alten Fotos zu sehen. Wie ich erfahren konnte, hatte der Cottbuser Fotograf eben nur diese eine Haube in seinem Studio, die er stets seinen Kundinnen aufsetzte, falls die mal ‚oben ohne‘ zum Termin erschienen“, erinnert sie sich an einige Diskussionen darüber, was denn nun richtig oder falsch sei. „Überhaupt sollten wir bei aller Detailverliebtheit nicht vergessen, dass sich Tracht und Trageweise stets verändern und auch modernen Trageansprüchen gerecht werden sollen“, lautet ihre Überzeugung. Tochter Juliane Bossan geht noch einen Schritt weiter: Sie modelt bei Sarah Gwiszcz, einer jungen Designerin. Diese zeigt im Rahmen ihres Projektes „Reanimation“ Trachtenelemente in völlig neuer Konstellation und sorgt damit für nicht wenig Gesprächsstoff unter den Trachtenträgerinnen. Johanna Sapjatzer, die die traditionelle Trageweise bevorzugt, ist nicht dagegen: „Alles ist gut, was die Tracht hier im Spreewald am Leben hält. Beides hat seine Berechtigung. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Tracht allmählich wieder in Vergessenheit geraten würde, nur weil sie niemand mehr tragen möchte“, lautet ihr Credo.
Nach ihrer Zeit in Sielow erfolgte aus einer Ich-AG heraus 2004 der Schritt in die Selbständigkeit. Schon sieben Jahre vorher hatte sie beim Dorftanz den Rubener Zimmermann Jens Sapjatzer kennengelernt, und war dann später mit auf sein elterliches Grundstück in Ruben gezogen, wo 2000 Sohn Friedrich geboren wurde. Es passte nicht nur der Mann zu ihr, sondern auch sein wendischer Familienname zu ihrer Arbeit fürs Wendische: za pjacaŕ = die hinter dem Backofen/Backhaus wohnen. In Ruben hat sie nun ihre Schneiderwerkstatt und drum herum das ländliche Refugium mit Haustieren und Garten. Friedrich hat sich der Bienenzucht verschrieben und besitzt schon einige Völker. Tochter Juliane wird in die Touristikbranche einsteigen und absolviert gerade eine Ausbildung. In Johannas Schneiderei rattert die Nähmaschine und dampft das Bügeleisen eigentlich immer, aber besonders häufig um die Fastnachtszeit fast um die Uhr herum. „Alle wollen dann, möglichst schon am nächsten Tag, eine neue Tracht für den Zapust. Hinzu kommt noch meine Beratertätigkeit zur Trageweise. Manche, besonders die jungen Mädchen, wissen nicht, dass zur Fastnacht nur weiße Schürzen getragen werden dürfen. Und dann muss ich schon mal sagen, dass die Tracht nicht anschließend in die Waschmaschine gehört, sondern so wie früher sorgfältig mit der Hand zu waschen ist.“
Peter Becker, 14.09.12
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