Trachtenschneiderei Jacobick

Burger Traditionsschneiderei - 2013: 30 Jahre Trachtenschneiderei

 

Irgendwie ist es wie früher, wie im Märchen: Schneider Herbert Jacobick sitzt auf dem Tisch, um ihn herum Stoffe, Scheren, Nadeln, … „Das hat einen ganz einfachen Grund“, erklärt er die Arbeitshaltung: „Es wird vom langen Sitzen auf dem Stuhl kalt an den Füßen. Auf dem Tisch sitzt man höher und somit im wärmeren Bereich. Außerdem fallen die Stoffe nicht so schnell herunter!“ Er meint damit die voluminösen und schweren Stoffe, wie sie in einer Trachtenschneiderei verarbeitet werden. Vom Tisch aus hat er einen weiten und unverbauten Blick durchs Fenster in die Burger Streuobstwiesenlandschaft vorm Haus. Immer wieder lässt er seine Augen in die Ferne schweifen, um ihnen Erholung zu gönnen. Eben hat er noch Knopflöcher an der schwarzen Weste gesäumt, nun schaut er wieder hinaus. „Tja, eigentlich sind Frühjahrsarbeiten im Garten und ums Haus dran, aber ich kann ja die Kunden nicht mit immer wieder neuen Terminen vertrösten, nur weil nun endlich Frühling ist“, erklärt der 73-Jährige, der eigentlich gar nicht mehr arbeiten müsste. Herbert Jacobick betreibt mit seiner Frau Marie-Elisabeth, der Meisterin, die ihn einst angestellt hat, die Trachtenschneiderei in Burg-Kauper.
Marie-Elisabeth Müller, wie sie damals hieß, kam 1941 in Tornitz zur Welt. Nach dem Schulabschluss besuchte sie zunächst die Vorschule für Kinderkrankenschwestern. Sie fand schon immer einen großen Gefallen an den Näharbeiten ihrer Mutter, der ihren Berufswunsch noch einmal umschwenken ließ: Schneiderin wollte sie nun werden. Nach der Krankenschwester-Vorschule hing sie gleich noch eine Schneiderinnenlehre bei Hertha Greiner in Drebkau dran und wurde danach Gesellin bei Anni Werner in Cottbus. In dieser Zeit lernte sie beim Tanz den Herbert kennen. Man fand sich gut, erst recht, nachdem beider Beruf bekannt war: er war ausgebildeter Herren- und Damenschneider für Oberbekleidung. Die Hochzeit folgte 1961, Sohn Michael kam 1962 zur Welt. Eine Wohnung in Cottbus wurde bezogen. Zwischenzeitlich war Herbert Jacobik beim NVA-Grundwehrdienst. Wie es für einen Schneider nicht anders sein konnte, versah er seinen Dienst in der BA-Kammer, wie die Bekleidungs- und Ausrüstungskammer kurz genannt wurde. „Da hätte ich bleiben können, immer nur Soldaten einkleiden oder mal Wäsche tauschen – kein besonders anstrengender Dienst in einer Armee!“ Ein entsprechendes Angebot schlug er aber aus. Bei den „Hauswirtschaftlichen Dienstleistungen“, kurz HWD genannt, arbeitete er dann zwei Jahrzehnte als Zuschneider für Oberbekleidung und kam dadurch mit den „Oberen“ der eigentlich klassenlosen Gesellschaft zusammen: Offiziersgattinnen bekamen maßgeschneiderte Kostüme und Mäntel, höhere Offiziere eine perfekt sitzende Uniform. „Sowjetische Generäle aus Wünsdorf ließen sich von mir ihre Uniformen schneidern, deren Damen kamen mit Pelzen, die ich auf ihre Mäntel nähen durfte“, erinnert er sich Herbert Jacobik an diese Zeit.
Marie-Elisabeth arbeitete als Maßschneiderin und wollte sich selbstständig machen. Ihren dafür notwendigen Meisterabschluss konnte sie zwar noch ablegen, aber für die Gründung eines eigenen Gewerbes bekam sie keine Genehmigung. „Stellen Sie Ihr Können erst mal in der Produktion und in der Lehrlingsausbildung unter Beweis“, lautete der Ablehnungsgrund. Als Zuschneiderin und als Mitglied der Prüfungskommission hat sie dann wohl ausreichend Eindruck hinterlassen. Ihre Gewerbegenehmigung bekam sie dann allerdings auch nur, weil dringend Trachtenschneider gesucht wurden. Inzwischen hatte das Paar in Burg ein Wochenendgrundstück erworben und auch Kontakt zu den Burgern bekommen. Seit 1981 haben sie an jeder Fastnacht mit Trachtenumzug teilgenommen und so Einblick in das sorbische/wendische Traditionsleben bekommen. Mit ihrem Fachwissen und -können haben sie so mancher alten und oft defekten Tracht zu einer neuen Existenz verholfen. Anders als in viele Bereichen, wo stets akuter Mangel an Material herrschte, war es in der Trachtenschneiderei besser: Partei, Regierung und Domowina förderten im Rahmen der Kulturpolitik alles Sorbische und sorgten für entsprechende Bedingungen. „Vom Ministerium für Kultur bekamen wir die nötigen Stoffe bewilligt, die Spitzen kamen aus Plauen“, erzählt die Meisterin aus einer Zeit mit sehr viel Arbeit. Herbert Jacobick, ihr Ehemann, wurde ihr Angestellter. „Konflikte? Konflikte gab es, aber wir haben uns immer geeinigt und die Arbeit eingeteilt. Lustig fand er drei Monate später das an ihn gerichtete Schreiben des Arbeitsamtes. Er sollte nachweisen, wovon er lebt. „Irgendwie haben die das nicht mitbekommen und mir eine asoziale Lebensweise unterstellt“, lacht er noch heute über die „Kontrollomanie“ des Staates.
Bei einem ihrer Aufträge wurde die Kompliziertheit der Ost-West-Beziehungen deutlich: Eine Bostoner Dozentin mit Berliner und Spreewälder Hintergrund, wollte unbedingt eine wendische Tracht haben. Über das Kulturministerium bekamen Jacobicks den Auftrag. Per Briefkontakt kamen sie an die Konfektionsmaße der Dame, die Tracht ging dann per Post in die USA. Bezahlt wurde in Dollar. Wie hoch der Betrag war, haben die beiden nie erfahren. Sie bekamen später ihren Lohn, immerhin etwa 1000 DDR-Mark, vom Rat des Bezirkes ausgezahlt.
Beider jüngstes Werk ist eine wendische Brauttracht, gefertigt nach einem alten Foto. Der Sacroer Reinhard Natusch wollte es ursprünglich für die Heimatstube haben. Eher zufällig ergab sich, dass ein Paar aus Naundorf bei Forst auch der Tradition entsprechend in Tracht und mit allen alten Ritualen heiraten möchte. „Wir haben unser ganzes Wissen und Können in die Brauttracht gesteckt. Manchmal mussten wir lange tüfteln, um die auf dem Foto nicht sichtbaren Teile zu rekonstruieren. Aber nun ist sie fertig und schon wieder aus dem Haus“, erzählt wehmütig Marie-Elisabeth Jacobick. „Aber sie ist ja nicht für immer weg, in der Sacroer Heimatstube wird sie nach der Hochzeit zu sehen sein“, klingt es dann schon ein wenig versöhnlicher.

Peter Becker/peb1, 11.04.13

Herbert Jacobick verstarb am 14.08.2016

 

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