Klaus Lischewsky

Klaus Lischewsky, Vetschau

  • Pfarrer im Ruhestand

„Wenn du eine Leuchte wärest, hätte ich dich durchgezogen bis zum Abitur.“


„Hier ist er und hier bleibt er!“ Superintendent Friedrich Herrbruck machte mit Nachdruck deutlich, dass der angeforderte Pfarrer nun auch seine Stelle anzutreten hat, auch wenn es vielleicht doch nicht so nötig gewesen wäre, wie die Frau des amtierenden Vetschauer Pfarrers an der Haustür erkennen ließ. Die anfordernde Stelle war das Pfarramt Vetschau, der antretende Pfarrer in Begleitung des Superintendenten – Klaus Lischewsky. Es war nicht seine erste Stelle, die er im November 1976 antrat, aber es sollte seine letzte werden, wenn auch mit einer dreijährigen Unterbrechung. Der Berliner kannte Vetschau bisher nur vom Bahnhofsschild auf der Durchreise, wenn er seine Görlitzer Verwandten besuchte. Der Ort sagte ihm nichts.
Der 1935 in Berlin-Lichtenberg geborene Lischewsky wuchs in einer Buchhalterfamilie auf. Eine Schwester kam 1940 zur Welt, erkrankte aber bald an der spinalen Kinderlähmung. Der große Bruder musste lernen, sich um die gehbehinderte kleine Schwester zu kümmern. Die beiden Kinder erlebten mit ihrer Mutter die letzten Kriegsmonate mit den schrecklichen Bombenangriffen der Alliierten in Berlin, der Vater wurde noch im April 1945 an die Ostfront, die nun schon bei Guben stand, abkommandiert. Von ihm kam nie mehr ein Lebenszeichen. Aus dieser Zeit fallen ihm immer wieder die gleichen Gedankensplitter und aufgenommenen Wortfetzen ein: Hitler  kaputt, Berlin kaputt, Hunger, Kälte. Wäre da nicht Großtante Ida gewesen. Sie konnte zaubern, sie machte aus Gries und Majoran Schmalz, Schoko-Pudding aus Gries und Malzkaffe, wegen der Farbe. Oder später, in leicht besseren Zeiten, aus Hirse und Kohl einen Auflauf, wenn auch längst nicht so üppig wie er heute gemacht wird.
Klaus Lischewsky besuchte nach einer kriegsbedingten halbjährigen Unterbrechung wieder die Schule, ein Gymnasium, war aber in der 8. Klasse versetzungsgefährdet. Seine Mutter  prägte damals den treffenden Satz, der ihm heute noch in den Ohren klingt: „Wenn du eine Leuchte wärest, hätte ich dich durchgezogen bis zum Abitur!“ So aber wechselte er die Schule und hatte in der Volksschule dann mehr Erfolg. Die Lehre als Industriekaufmann im Kabelwerk Oberspree (KWO) meisterte er problemlos und arbeitete später dort als Materialeinkäufer. Bis zum Gründonnerstag 1957.
Ein Schulfreund hatte schon früher den damals Elfjährigen einfach in die kirchliche Jungschar mitgenommen: „Komm mit, da ist immer was los!“ So wuchs der Junge allmählich in kirchliches Leben hinein und übernahm dort schließlich Verantwortung als Leiter einer Jungengruppe. Unter dem Dach der Jungen Gemeinde in Ostberlin hatten sich auch christliche Pfadfindergruppen gebildet. Beim evangelischen Kirchentag 1956 in Frankfurt/Main, an dem Lischewsky mit seiner Pfadfindergruppe teilnahm, lernte er den amerikanischen Scout-Pfarrer Marcy Punnett kennen - und das schmiss sein Leben gründlich um. Der amerikanische Pfarrer bot ihm an, auf seine Kosten sich zum Pfarrer ausbilden zu lassen. Nach reiflicher Überlegung sagte Lischewsky zu und wurde nach dem besagten Gründonnerstag Student der Berliner Predigerschule Paulinum. Nach den drei Ausbildungsjahren wurde er in die Provinz geschickt. Nach Pfarrämtern in der Uckermark und im Berliner Umland kam dann der Einsatz in Vetschau. Seine erste Ehe hatte er kurz zuvor „fluchtartig verlassen“, wie er es selbst beschreibt. Zu groß die Diskrepanzen und die Verschiedenheit der Vorstellungen von einem gemeinsamen Leben im Pfarramt. Seine Kirche fungierte nun als Scheidungsverhinderer - es blieb ihm keine andere Wahl, als den eben erst angetretenen Pfarrdienst wieder aufzugeben und eine „normale“ Arbeit aufzunehmen, die er bei einer Baugenossenschaft in Calau fand. In den drei folgenden Jahren konnte dann die Scheidung erfolgreich durchgesetzt und eine neue Ehe mit Lony, die er in seiner Müncheberger Zeit kennen gelernt hatte, eingegangen werden. Er bekam seine Rechte aus der Ordination wieder beigelegt und konnte die Pfarrstelle in Vetschau übernehmen. Zu seinem Erstaunen gehörten dazu einige Dörfer eines ehemaligen wendischen Kirchsprengels, wie Raddusch und Fleißdorf. „Ich hatte keinerlei Ahnung von Wenden, Sorben und der damit im Zusammenhang stehenden Problematik, wurde aber ziemlich schnell und nachhaltig damit konfrontiert.“ Mit einem zweisprachigen Büchlein wollte er an einem Frauenabend in Naundorf glänzen, aber erhielt sofort eine Abfuhr: „Das ist nicht unsere Sprache!“ So nach und nach setzte beim neuen Pfarrer die Erkenntnis ein, dass es sich nicht nur um Zwei- oder gar Mehrsprachigkeit allein, sondern auch um eine große Befindlichkeit handelt: Die Spreewälder wollen nicht Sorben sein und erst recht nicht so genannt werden. „Dann soll man die angestammten Spreewälder sich eben Wenden nennen lassen und nicht ständig versuchen, ihnen den Sorbenbegriff überzustülpen. Den miteinander zwar verwandten, jedoch sprachlich und nach Sitte und Gebräuchen völlig selbständigen wendischen Gruppierungen ist das Recht zuzugestehen, ihre Eigenständigkeit zu wahren und zu leben. Wenn die einen den Sorbenbegriff auf sich beziehen wollen, ist das genauso zu akzeptieren, wie der Wille der Wenden der Niederlausitz, ihn abzulehnen – beide Gruppen sollten es in alter slawischer Verbundenheit einfach so akzeptieren.“ Nach den vielen Jahren kirchlicher Arbeit, besonders in den Spreewalddörfern, hat sich bei Lischewsky diese Grundeinstellung festgesetzt.
Seit 2000 ist Klaus Lischewsky im Ruhestand, den er selbst als „Unruhestand“ bezeichnet. Nun ist etwas mehr Zeit für den Förderverein Wendische Kirche, für die Vereinigung der Wenden „Ponaschemu“, für geschichtliche Forschungen zu Vetschau, die längst seine Heimatstadt geworden ist und vieles andere. In seinem kleinen mit Büchern und Ordnern gefüllten Arbeitszimmer im Eigenheim in der Nordstraße sitzt er dann und recherchiert. Mit Mail und Internet will er sich nicht anfreunden, „das stiehlt mir zu viel meiner ohnehin zu knappen Zeit – und es gibt nichts Authentischeres, als in alten Unterlagen zu schmökern, aus denen man förmlich den damaligen Zeitgeist heraus riecht.“ Gerade eben ist der Nachlass eines ehemaligen Vetschauers aus Oberfranken eingetroffen, das Paket schon halb geöffnet: „Da mache ich mich dann gleich drüber her, ich bin furchtbar gespannt, was da drin ist!“

 

Klaus Lischewsky verstarb am 3. Juni 2014

KlausLischewsky

P. Becker, Dez. 2010

Alle Originale