Lutz Schultchen

Fleischer und Fischer aus Burg

Vater Werner und Mutter Sidoni Schultchen waren die meiste Zeit außer Haus, bei der LPG Fleißdorf arbeiten. Zeit und Gelegenheit für den 1961 in Naundorf aufgewachsenen Lutz sich im Spreewald rumzutreiben und besonders der Angelleidenschaft zu frönen. Oft vergaß er dabei Zeit, Pflichten und Hausaufgaben, „denn der nächste Fisch wird ganz bestimmt ein ganz großer sein“, war er überzeugt. So groß, dass die Eltern versöhnlich blieben und ihm seine Unzuverlässigkeit nachsehen werden. So weit seine Überlegung. „Manchmal gab es aber ‚langen Hafer‘, wie wir in Naundorf die Schelte der Eltern nannten“, erinnert sich der heutige Fleischer und immer noch leidenschaftliche Fischer. Den dicken Fisch gab es tatsächlich einmal, es war ein ein Kilogramm schwerer Aal. Die größte Freude des Heranwachsenden war es, mit dem Vater zum Fischen in den Spreewald zu fahren. „Hier habe ich gelernt, wie mit Stellnetz, Wade, Staknetz, Reusen und Plumbauer umzugehen ist“, erinnert sich Lutz Schultchen, der heute Mitglied im Verband der wendischen/sorbischen Fischer in Burg und Umgebung ist. Das Staken des Kahnes erlernte er so ganz nebenbei, allerdings mit einer Stange. „Das Rudel war viel zu kostbar, das durften wir Kinder nicht benutzen.“ Mit Bruder Siegmar (Jahrgang 1959) und Schwester Marlies (Jahrgang 1963) erlebte er Kindheit und Jugend in einem landwirtschaftlich geprägten Familienbetrieb mit viel Mithilfe, aber auch mit viel Freiräumen inmitten einer den Lebensrhythmus bestimmenden Natur.

Nach der Fleischerlehre in Burg folgte die Meisterschule und Schichtarbeit im Burger Betrieb. Wendebedingte Umstrukturierungen führten ihn für eine Zeit ins Bauhandwerk und auf Montage. Zu seiner Familie gehörten inzwischen Fleischerkollegin Birgit („Wir sind uns in der Fleischerei näher gekommen“) und die Kinder Nicole, Rene und Michelle. „Wir mussten sehen, wo wir bleiben. Ich habe alle Arbeiten angenommen, schließlich war eine Familie zu ernähren!“, erinnert er sich an diese schwere Zeit. Auch Gattin Birgit musste umlernen und arbeitet jetzt als Köchin. Lutz‘ Bewerbung bei der Vetschauer Wurstwaren GmbH war letztlich erfolgreich, er konnte sofort anfangen. Sein Arbeitstag beginnt seit 2007 früh um drei Uhr: Frischfleisch entladen, auslösen und verarbeiten.

 

Im Herbst läuft in den Spreewalddörfern die Hausschlachtung an. Lutz Schultchen schärft dann die langen Messer und macht das Bolzenschussgerät einsatzbereit. Er gehört zu den gefragtesten Hauschlachtern. „Ich weiß auch nicht warum, den Leuten schmecken vielleicht meine Würste nach den alten Rezepturen“, erklärt er sich die Nachfrage. In einem Handbuch für den Landwirt von 1938 hat er sich belesen und seine Würzmischungen darauf abgestimmt. „Besonders die Schinkenwurst ist sehr schmackhaft und wird gern bestellt.“ Er erinnert sich an die Probleme in der Vorwendezeit mit fehlenden Gewürzen und Beimischungen: „Die Grützwürste waren nur unter Schwierigkeiten herstellbar. Die Gerstengrütze war oft so grob, dass wir dazu ‚Kälberzähne‘ sagten. Heute ist jedes Gewürz, jede Grütze in den verschiedensten Qualitäten vorhanden.“

Nach dem Winter und den oft langen Schlachttagen und -abenden freut er sich auf die ersten Fischzüge des Jahres. „Ich bin dann allein in freier Natur, an frischer Luft und erlebe immer wieder neu die Spannung, die beim Netzeinholen entsteht.“ In aller Regel bleibt es bei der Spannung, denn große Fische gehen immer seltener ins Netz. „Was sich bei der Fleischerei verbessert hat, hat sich bei der Fischerei verschlechtert: Es gibt immer weniger ‚Kinderstuben‘, also Laichgewässer, weil besonders die kleinen Fließe und Gräben verschlammen, verkrauten oder ganz und gar trocken fallen“, beklagt er die Situation. Hinzu kommen noch die starken Wasserstandsschwankungen und neuerdings die Braunfärbung des Wassers. Lutz Schultchen befürchtet Schlimmes für den Fischbestand und den Pflanzenwuchs: „Vielleicht kann in Zukunft viel Geld für das Entkrauten gespart werden. Es gibt dann nichts mehr zu entkrauten, weil das Leben in den Fließen erloschen ist!“ Ihm ist dennoch die große Hoffnung anzumerken, dass es letztlich nicht so kommen wird, aber die Anzeichen sind da und nicht zu übersehen. „Es wäre schade um unseren schönen Spreewald, denn sein Wasser ist sein Kapital!“

 

Peter Becker, 07.09.12

 

 

 

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