Michael Mehlow

Michael Mehlow M.A., Lehde

  • "Grambauer"


Er ist wieder dort angekommen, wo seine Vorfahren, die mütterliche Seite, schon seit Jahrhunderten leben – im Spreewalddorf Lehde. Die wendische Familie, die den Hof einstmals gründete, hieß Puschsczisczar*, ein Name, der nach alter slawischer Tradition auf die Nachfahren übertragen wurde, weshalb manche Alteingesessenen die Familie Mehlow nach wie vor – leicht verändert – Puschasch nennen. Bei einigen Einwohnern heißt er deshalb zuweilen auch noch Puschaschs Michael. Die Puschaschs erbauten 1754 das inzwischen verfallene Wohnhaus. Das Anwesen hatte viele Anschriften , es war mal Lehde Nr. 30, wurde dann An der Dolzke 12. „Und eigentlich müsste es An der Ogrena heißen, die an der langen Seite des Grundstückes vorbei fließt“, erklärt der diplomierte Historiker und Magister Artium (M.A.) Michael Mehlow. Es könnte auch Am Freilandmuseum heißen, denn die andere Längsseite teilt es sich mit dieser Einrichtung.

Der Spreewälder in Sachsen-Anhalt

Das jüngste der vier Kinder wurde 1965 geboren, der Vater verstarb früh und Michael wuchs unter der Obhut seiner älteren Geschwister auf. „Die können das heute noch nicht lassen, für die bin ich immer noch der ‚Kleene‘“, blickt er schmunzelnd auf deren Erziehungsversuche zurück. Erzieher, Lehrer – das war auch für ihn ein denkbarer Beruf, spätestens als ihn der Direktor der 1. Lübbenauer POS Wagner auf seine geschichtlichen Ambitionen hin ansprach. „Ich war oft als Junge im benachbarten Freilandmuseum, habe in den Ferien sogar dort gearbeitet. Mich umgab überall Geschichte, die mich wohl geformt hat“, versucht Michael Mehlow eine Erklärung. Das Lehrerstudium begann er 1986 in Halle (Saale) und hätte es beinah auch planmäßig beendet, wenn die politische Wende nicht einen Strich dadurch gemacht hätte. „Auf einmal war mein Studium nichts wert, da es ideologisch ausgerichtet war. Ich musste noch zwei Jahre Ergänzungsstudium dranhängen, um die ‚politische Fehlorientierung zu beseitigen‘ wie es damals hieß“, erinnert sich Mehlow. Er musste erleben, wie Bestände der ihm vertrauten Literatur aus den Bibliotheken entfernt und geschreddert wurden. „Hatten wir das nicht schon mal in Deutschland?“ Ein nachdenklicher Mehlow: „Die Diktatur des Proletariats gegen die Diktatur des Geldes… was ist wichtiger, was gibt dem Menschen mehr…?“ Fragen, die ihm niemand beantworten konnte oder wollte. Fachlich war Mehlow den West-Professoren, die in der Universität immer stärker das Sagen hatten, aufgefallen. Er hatte sich mit akribischen Forschungen einen Namen gemacht. Für seine Abschlussarbeit „Die Beziehungen der Lausitz zur Universitätsstadt Halle im 18. Jahrhundert“ erhielt er das Prädikat „ausgezeichnet“. Er schloss das Lehrerstudium für Geschichte und Deutsch schließlich 1993 ab und erwarb ein Jahr später den akademischen Titel Magister Artium (M.A.). Das ihm angebotene Forschungsstudium nahm er gern an, denn es hätte ihn den Doktortitel und vielleicht eine Stelle an der Universität eingebracht. Er bekam ein Stipendium. Als dieses auslief, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Zeitungsausträger und Medikamentenausfahrer.

Der "Kuchenfresser" als Lebenshelfer

„Ich war aber inzwischen Mitte Dreißig und stellte plötzlich mit Entsetzen fest, dass ich für meine Rente kaum einen Punkt erarbeitet hatte!“ Michael Mehlow nahm sich Zeit für ein Überdenken seines Lebensplanes und fuhr zur Mutter in sein Heimatdorf Lehde. Dort besuchte Michael seinen verehrten, inzwischen schon pensionierten Museumsdirektor Gerhard Krüger, den er bereits als Kleinkind kannte und den der damals Vierjährige als „Kuchenfresser“ bezeichnete. Daraus wurde eine lebenslange Freundschaft. Sein väterlicher Freund riet ihm, ganz schnell etwas Bodenständiges zu machen, alle Titel fahren zu lassen und sich erst einmal auf wirklich Wichtiges wie eine ordentliche Arbeit, Familie und Kinder zu kümmern. Zurück in Halle schmiss er sein Forschungsstudium hin, es folgten befristete Anstellungen u. a. in einem Medienunternehmen für Radio Brocken und bei der Hallenser Universitätsbibliothek. Nach fast 20 Jahren kehrte er dann endgültig in die Heimat zurück. Michael Mehlow übernahm eine Stelle als Musuemsführungskraft im Freilandmuseum, eine Arbeitsstelle, die er durch das Gartentor erreichen konnte. „Aber ganz so glücklich war ich nun auch nicht. Ich machte das, was früher Hausfrauen und Rentner auch ganz gut konnten. Dazu hätte ich nicht so viele Jahre akademische Studien betreiben müssen“, blickt er auf seine erste Arbeitsstelle in der Heimat zurück. Inzwischen ist er – wenn auch wieder nur befristet - als „Beauftragter zur Erfassung des kirchlichen Kunstgutes im Kirchenkreis Niederlausitz“ beschäftigt – eine Tätigkeit, die ihn schon mehr fordert und wo sein Historiker-Wissen gefragt ist.

Ein Gag wird zur Leitfigur

In die Zeit als Museumsmitarbeiter und gelegentlicher Stadtführer fällt auch die Geburtsstunde des „Gottlieb Grambauer“. „Ich sollte eine Schulklasse führen. Als pädagogisch Ausgebildeter machte ich mir Gedanken, wie ich die Jugendlichen motivieren könnte. Die Titelfigur aus Ehm Welk „Die Lebensuhr des Gottlieb Grambauer“ erschien mir bestens passend, zu mal Ehm Welk einige Jahre in Lübbenau lebte. Diese Führung sollte einen Wendepunkt einleiten. Die Jugendgruppe war begeistert, seine Fachvorgesetzten aus dem Museum ebenfalls und auch er selbst empfand plötzlich Befriedigung: Er wurde gebraucht, er konnte unterhalten und sich eigentlich das erste Mal im Leben so richtig einbringen! „Meine fachwissenschaftliche Qualifikation interessiert niemanden, der ‚Grambauer‘ rückt plötzlich in den Mittelpunkt. Die Leute wollen unterhalten werden. Da kommt es nicht auf Akkuratesse, sondern auf Entertainment an“, lautet seine Erkenntnis. Seit dieser Zeit trifft man ihn in seinen Holzlatschen und mit Strohhut häufig in Lübbenau und Lehde inmitten von Besuchergruppen an. Er plaudert munter drauf los, in schönster Spreewälder Mundart, dabei nichts und niemanden verschonend. Er gibt den Grambauer so wie frisch aus dem Buch entstiegen und mit der neuen Zeit nicht klarkommend – der Beifall ist ihm stets sicher.
Dann gibt es noch den ganz ruhigen nachdenklichen Michael Mehlow. Bei seinen Fahrten über Land, von Kirche zu Kirche, wenn er wieder einmal in den Archiven forscht und Kunstgüter aufstöbert, hält er manchmal an. „Ich schwimme dann gelegentlich in einem stillen Brandenburger See, lege mich dann ins Gras und schaue den Wolken zu. Eigentlich bin ich zufrieden mit meinem Leben, das mich über zeitraubende Umwege hier hergeführt hat. Aber ich bin immer noch allein, Zeit für eine Familie hatte ich noch nicht!“ Er steigt dann wieder in sein Auto und ist in Gedanken schon wieder bei seinem nächsten Auftritt - als „Grambauer“.

Nusstorte:

4 Eier
300 g Zucker
1 Prise Salz
3 Gläschen Rum
mit
zusammenrühren und
hinzufügen. Das Gemisch mit
dick schaumig schlagen. Dann
200 g geriebene Nüsse (oder Mandeln)
50 g Mehl
50 g geriebene Semmel
½ Päckchen Backpulver

 

und
langsam unterrühren. Anschließend den Teig in eine Tortenform füllen und 45 Minuten bei mittlerer Temperatur backen. Die Torte nach dem Backen auskühlen lassen und dann mit
Puderzuckerglasur bestreichen.

Regionalgeschichtliche Publikationen (Auswahl):

Lausitzer Studenten und die Universität Halle im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Ostforschung. Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa, hrsg. im Auftrag des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates e. V., Marburg/Lahn 42 / 1993 / 3, S. 338 – 357.

Wolfgang Bernhardt. Chronik der Gemeinde Kahren. Rezension in: Lětopis. Jahresschrift des Instituts für sorbische Volksforschung, Bautzen 42 / 1995 / 2, S. 116 – 120.

Über Leben und Werk des sorbischen Pfarrers und Dichters Christian Friedrich Stempel (1787 – 1867). In: Familienforschung in Mitteldeutschland in den Ländern Mecklenburg‑Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen‑Anhalt, Thüringen und Sachsen, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung e. V., Berlin 41 / 2000 / 4 [Oktober – Dezember 2000], S. 357 – 361.

Lübbenaus Oberpfarrer Stempel, der erste niedersorbische Dichter. In: Serbska pratyja 2001, Budyšyn 2000, S. 143 – 145.

Kirchenbücher des Archivs der Nikolaikirche zu Lübbenau/Spreewald. In: Familienforschung in Mitteldeutschland in den Ländern Mecklenburg­Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen‑­Anhalt, Thüringen und Sachsen, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für mitteldeusche Familienforschung e. V., Berlin 42 / 2001 / 1 [Janu­ar – März 2001]. AMF‑­INFO C. 4 ‑ 8, S. 1 – 4.

Orte des Bundeslandes Sachsen‑Anhalt in den Kirchenbucheintragungen von Lübbenau. In: Ekkehard. Familien‑ und regionalgeschichtliche Forschungen, hrsg. von den Hallischen Familienforschern "Ekkehard" e. V., Neue Folge, Halle 10 / 2003 / 2, S. 41 – 48.

Unsere alte Fahlisch‑Chronik. In: Geschichte der Stadt Lübbenau/Spreewald ‑ 20. Jahrhundert ‑, hrsg. von der Stadt Lübbenau/Spreewald, o. O. 2004, S. 73 – 80.

Zachopjeńki serbskego knigłyśišća w Chośebuskem wokrej­su. In: Serbska pratyja 2006, Budyšyn 2005, S. 59 – 61.

Dolnołužyski faraŕ Johann Blasius. In: Serbska pratyja 2007, Budyšyn 2006, S. 72 – 74.

Die Verbreitung pietistischen Gedankengutes am Beispiel des Lebensweges von Johann Blasius. In: Merry Old England? Studien zur britischen und deutschen Geschichte. Festschrift für Otfried Dankelmann zum 70. Geburtstag am 25. November 2006, hrsg. von Editha Ulrich, Norderstedt 2006, S. 163 – 174.

Sowie regionalgeschichtliche Artikel in der Lausitzer Rundschau.

 

*Am wahrscheinlichsten ist die Deutung als Wohnstättenname, „pušćina“ ist wendisch die Wüste, Einöde, das verlassene bzw. das einsame Bauerngehöft; „pušćiś“ = wüst machen, veröden, verwüsten, verlassen. Pušćinaŕ bzw. Pušćišćaŕ wäre der davon abgeleitete Familienname: „der auf einem abgelegenen Gehöft wohnt“ oder „der auf einem wüsten Feldstück/Grundstück wohnt“. (Werner Meschkank, Wend. Museum)
Peter Becker/peb1, 01.09.11

Fotoalbum Michael Mehlow

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