Manfred Neumann

Bürgermeister Burg(Spreewald)

Erst geflohen, dann vertrieben. Der vierjährige Manfred hat das Schicksalsjahr 1945 nicht wirklich in Erinnerung, aber in den Erzählungen der Mutter und der Großeltern formte sich in den Jahren danach ein Bild, das auch ihn nicht mehr verlässt. Als die Front heranrückte, floh die Landwirtsfamilie aus dem Glogauer Raum zu Verwandten in Werben. Nach Kriegsende ging es zurück in die schlesische Heimat, aber nur für ein paar Wochen. Polen, selbst Vertriebene aus den Ostgebieten, beanspruchten Land und Haus und noch einmal mussten die Neumanns den Weg zu ihren Verwandten gehen – und blieben dann auch für immer in Werben. Manfred Neumann besuchte die damalige Mittelschule in Cottbus. „Mein Zeugnis kann ich meinen Enkeln nicht zeigen, die bekommen Komplexe“, erzählt er über die Schulzeit. „Ich hatte fast überall nur Einsen - Streber würde mich meine Enkel nennen.“ Aus dem Schlesier wurde in der neuen Heimat durch die Nähe zum Wasser und zum Spreewald ein Wasserbegeisterter, den es Regulierungs- und Wasserbauten angetan hatten. „Mich faszinierte die Urgewalt des Wassers, aber auch wie wir Menschen es zu unserem Zweck dienstbar machen können.“ Die Lehre zum Wasserbaufacharbeiter in Klein Machnow war die logische Konsequenz. Eine akademische Laufbahn war wegen des fehlenden Abiturs nicht möglich, doch letztlich hat er später alles nachgeholt. In langjährigen Fernstudien schaffte er es bis zum Diplomingenieur für Wasserwirtschaft. Während der Ausbildung erlernte er den Umgang mit Prahmen, das Bedienen verschiedener motorgetriebener Arbeitskähne und anderer Wasserfahrzeuge. „Nur das Staken habe ich dort nicht gelernt, das habe ich mir erst später daheim im Spreewald angeeignet“, blickt er auf eine Lehrzeit voller Abenteuer zurück. Er kam in der ganzen DDR rum und lernte so ziemlich alle wichtigen Wasserbauwerke kennen, so auch die Hafenmole in Rostock. Die DDR plante 1957 den Ausbau des Hafens, um vom einzigen deutschen Überseehafen Hamburg unabhängig zu sein. Pioniere und FDJler sammelten im ganzen Land Steine für die Ostmole. Manfred Neumann gehörte eine Zeit zu den Erbauern der Mole und konnte miterleben, wie sie sich immer weiter ins Meer schob.
Nach der Lehrzeit schlug er eine Delegierung zum Studium erst mal aus. „Ich brauchte Jacke und Hose, musste erst mal Geld verdienen!“ Der mehrfach und nachhaltig an ihn ergangene Aufforderung, seinen Wehrdienst, damals noch „freiwillig“, anzutreten, leistete er nicht Folge. Die bald eingeführte Wehrpflicht ließ ihn dann doch keine Wahl mehr. In der Abendschule machte er seinen Meister und als erst Neunzehnjähriger war er Chef von 14 Mitarbeitern. „Da habe ich fürs Leben gelernt, wie man Menschen führt und überzeugt.“ In diese Zeit des Berufsstarts fiel auch die Eheschließung mit der Burgerin Elfriede, die sich 2014 zum 50. Mal jährt.
Daheim, im Spreewald, übernahm er 1963 die Flussmeisterei Burg und trat die Nachfolge des legendären „Deichgrafen“ Erich Grothe an. Akribisch, mit Skizzenblock und Fotoapparat, erfasste er jede Besonderheit und jedes Bauwerk in seinem Verantwortungsgebiet. Zehn Jahre später, nun schon Diplomingenieur, wurde er Investbauleiter in Cottbus und war maßgeblich mitverantwortlich für den Bau des Nordumfluters. Die Wendejahre ließen den politisch Interessierten – obwohl nie Mitglied einer Partei- aktiv werden. Während der täglichen Busfahrten von und zur Arbeit wurde in dieser Zeit manchmal heftig über politische Gestaltungsmöglichkeiten diskutiert. Im Bus wurde letztlich auch die Idee geboren, für Burg eine „Freie Wählergemeinschaft“ ins Leben zu rufen, damit den etablierten Parteien das Feld nicht allein überlassen wird. So kam es - und Manfred Neumann wurde der erste frei gewählte Bürgermeister von Burg. „Wir waren die erste Gemeinde in Brandenburg, die einen bestätigten Flächennutzungsplan aufgestellt hatte. Das ermöglichte schon frühzeitig die Ansiedlung von Investoren, von denen sich viele erfolgreich in Burg niederließen“, schätzt Manfred Neumann heute seinen Start in die Politik ein. Gemeinsam mit Rainer Hoffmann und Roland Quos trieb er 1992 die Ämterbildung voran, um alle Kräfte zu bündeln.
Beruflich inzwischen als Oberbauleiter unterwegs, ließen sich Politik und Arbeit nicht mehr vereinen, die Belastung wäre zu groß geworden. Als sachkundiger Bürger im Bauausschuss blieb er der Kommune dennoch erhalten. Seit 2011 ist er wieder als Bürgermeister tätig. Als Rentner findet er nun doch wieder etwas mehr Zeit, der Saat, die er Anfang der Neunziger gesät hatte, zum Aufgehen zu verhelfen. „Große Entscheidungen brauchen nun mal viel Zeit, Geduld und Stehvermögen! Es gibt noch viel zu tun.“
Manfred Neumann ist begeisterter Radfahrer. Viele Fahrradgruppen hat er durch den Spreewald begleitet. Über Schleusen und Fließe, die Besiedlungsgeschichte und den Kanalbau kann er dabei so kompetent berichten, wie wohl kein anderer. Mit Freunden fährt er alljährlich mit dem Fahrrad nach Böhmen, an die polnische Ostsee oder ins Niederschlesische, in die Heimat der Eltern. „Man muss nicht über die Berge radeln, in den Tälern, entlang der Flüsschen und Flüsse geht es leichter. Sie zeigen uns den Weg!“ Ganz so, wie es in seinem Leben immer war: Flüsse als Wegweiser.

 

Peter Becker/peb1, 26.03.13

 

 

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