Martina Riedel

aus Lübbenau


„Wo ist der Kofferträger? Und überhaupt: Warum empfängt mich hier keiner, wo ist mein Fremdenzimmer“, tönt es alljährlich schrill und im schönsten Sächsisch durch das Gelände des Lehder Freilandmuseums. Bei der Veranstaltung Lehde geht schlafen, kommen Großstädter auf Urlaub ins Dorf und treffen dort bei einer Zeitreise zurück ins 19. Jahrhundert mit der Landbevölkerung zusammen. Darunter auch die irritierte und leicht verständnislose „Dame aus Leipzig“, Martina Riedel. Ihr komödiantisches Talent schien ihr laut ihrem Opa Martin schon in die Wiege gelegt worden zu sein, der die ständigen Verkleidungen seiner Enkelin kommentierte. Eigentlich brauchte Martina ja nur sich selbst zu spielen: Sie war in Leipzig geboren und aufgewachsen, hat das Sächseln immer noch im Blut und den Wechsel von der Großstadt ins Ländliche gut in Erinnerung!
In einer Arbeiterfamilie als eines von zwei Mädchen 1967 geboren, durchlief sie die damals übliche Schulbildung und erlernte den Beruf einer Buchbinderin. In der Deutschen Bücherei fand sie eine Anstellung. Mit einer Freundin fuhr die 17-Jährige zum Zelten an die Ostsee und lernte dort den Spreewälderjungen Frank kennen. „Aber gefunkt hat es erst ein Jahr später, beim Zelten am gleichen Ort“, erzählt sie über das Kennenlernen ihres Ehemannes. „Den heirate ich“, offerierte sie bei der Rückkehr ihren Eltern. Die und auch die Großeltern waren gar nicht so begeistert. „Zieh bloß nicht in den Spreewald! Da gibt‘s nur Sumpf, Mücken und rauchende Schlote!“, fassten sie ein einmaliges Tageserlebnis in der Region zusammen. Sie waren es aber auch, die nach dem ersten Kennenlernen ihres Freundes plötzlich ihre Meinung änderten und Frank und den Spreewald schön fanden. Bei einem gemeinsamen Urlaub am Briesensee und ein Jahr später, waren sie es, die bei einem Plausch am Strand und bis zum Bauch im Wasser stehend, plötzlich den Vorschlag machten, ihre Silberhochzeit und deren grüne Hochzeit doch einfach zusammenzulegen. So kam es dann auch und Martina zog in eine Leipziger Uraltbauwohnung. Dort war es kalt und schimmelig. Frank brachte an den Wochenenden im Skoda aus dem Spreewald, wo er immer noch arbeitete und wohnte, Brennholz mit, um es wenigstens einmal richtig warm und gemütlich zu haben. In der Kraftwerkerstadt Lübbenau fanden beide bald eine schicke Neubauwohnung und zogen 1988 dorthin um. Sohn Sebastian kam zur Welt. Martina hatte im Vetschauer Orgreb-Institut eine Arbeit gefunden hatte, ging aber bald ins Mütterjahr. Danach fand sie ihre Arbeitsstelle wendebedingt in der Abwicklung wieder, bekam aber noch ein Umschulungsangebot zur Einzelhandelskauffrau. Verschiedene Stationen folgten, denn immer wieder lösten sich die Arbeitsstellen auf. Nach einer Umschulung in Eisenhüttenstadt konnte sie dann wenigstens für 15 Jahre im Schmuckgeschäft im Lübbenauer Kaufland arbeiten. Aber dann war auch damit Schluss. Seit 2011 arbeitet sie als Servicekraft im Freilandmuseum.
Seit ihrer Ankunft im Spreewald ist sie von Trachten und Brauchtum begeistert. Etwas schüchtern, fragte sie 1998 im gerade gegründeten Rubiško-Verein an, ob sie auch eine Sächsin aufnehmen würden. Zu ihrer Überraschung wurde sie ohne zögern und bereitwillig als neues Mitglied begrüßt. Sie zählt von Anfang an zu den Aktivsten im Verein. „Hier kann ich mich so einbringen, wie ich es möchte: Mal als Hexe beim Zampern, mal in Tracht bei den Vereinsauftritten oder als feine Dame aus Leipzig. Darin fühle ich mich besonders wohl“, gesteht sie freudig lächelnd.
Irgendwann einmal sah sie beim Ostereierverzieren zu und war gebannt. „Das muss ich auch können,“ entfuhr es ihr spontan. Martina kaufte Bücher, holte sich Tipps und belegte einen Kurs. „Dass mit den Tipps erwies sich als gar nicht so einfach. Manche halten sich damit sehr zurück und fürchten wohl Konkurrenz“, zeigt sie sich ein wenig verständnislos. Sie selbst ist da eher freizügig und teilt sich gern den anderen mit. Immer wieder neue Muster entwirft sie, immer dabei die Wolfszähne. Martina Riedel: „Die nach außen gerichteten Dreiecke symbolisieren den Schutz und die Abwehr böser Dämonen auf Tier, Haus, Hof und Mensch.“ In den beiden Malarten Wachsbatik und Bossiertechnik hat sie sich zur Perfektion entwickelt. „Das kommt daher, dass ich eigentlich das ganze Jahr über daran arbeite, nicht nur vor Ostern“, erklärt sie ihre Vorgehensweise. Nur vor Weihnachten lässt sie die hohlen Eier links liegen und nimmt einfarbige Baumkugeln aus Glas. Mit ähnlichen Mustern, auch mit den Wolfszähnen, gestaltet sie einen Baumbehang, der bei den Leuten überaus gut ankommt. Allerdings auch nicht bei allen, wie es im Spreewald öfter vorkommen soll, wenn Neues auftaucht. „Manche meinen, dass diese Art zu malen, nur dem Ostereierschmuck vorbehalten sein soll. Dabei hat diese Tradition noch nicht mal im Spreewald seinen Ursprung, denn er ist eher in der Oberlausitz beheimatet.“ Obwohl Ostern auch im Spreewald zum wichtigsten Fest des Jahres gehört und noch vor Weihnachten steht, hat sich hier nur das Einfärben der Eier mit Roggengrün, Zwiebelschalen und Rote Beete durchgesetzt. Solche Eier waren schließlich auch zum Verzehr gedacht, anders als die kunstvoll bemalten hohlen Eier. Martina Riedel hat bei ihren vielen öffentlichen Auftritten, wie zur Ostermesse in Lübbenau, Hoyerswerda und besonders gern in Leipzig, stets dies und vieles andere über den Spreewald zu erklären. In Leipzig zum Beispiel auch, warum sie in ihrer schönen Tracht so ein wunderschönes „Leip’zsch“ spricht.


Peter Becker/peb1, 30.01.13

 

 

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