Heike und Andreas Schade

Marmeladenmanufaktur Lehde, Kahnfahrten

Marmeladenmanufaktur

Fruchtig-süßer Geruch zieht An der Lischka 3 in Lehde durch die Küche. In dem 1887 erbauten Blockbohlen-Haus geht es an diesem Tag hoch her. Ein Kunde hat eine größere Menge Marmelade geordert, die frisch zubereitet wird. Heike Schade (Jahrgang 1966) rührt immer wieder die zähe Fruchtmasse im großen Topf über der Gasflamme. Ehemann Andreas (Jahrgang 1961) holt Gläser heran und reiht sie für seine Frau auf. Nach der Auffüllung und etwas Abkühlung kommt die „Etikettiermaschine“ zum Einsatz, wie Andreas Schade liebevoll seine Schwiegermutter nennt. Ganz so verkehrt ist der Vergleich auch gar nicht, denn flott wie eine Maschine zieht Johanna Pschipsch (Jahrgang 1931) die Etiketten durch das Leimbad und bringt sie ganz akkurat auf den Gläsern an. Der Familienbetrieb läuft auf Hochtouren, auch mitten im Winter. Das war nicht immer so: Hinter Heike und Andreas Schade liegt eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit mit einigen Kurzzeitjobs als Erntehelfer.
Andreas Schade, ein Lübbener, erlernte den Beruf eines Facharbeiters für Eisenbahntransporttechnik, und auch Heike ging später diesen Berufsweg. Ihre Kindheit verbrachte sie im lehd’schen Elternhaus, in dem sie heute mit ihrem Mann wohnt. „Der Weg zur Schule war immer etwas schwierig, denn damals gab es noch keine Brücke über die Lischka zu unserem Grundstück, die kam erst 1978. Morgens ging es mit dem Kahn, vom Vater gestakt, ans andere Ufer und dann mit dem Fahrrad nach Lübbenau“, erinnert sie sich. Der Rückweg gestaltete sich dann meist noch etwas schwieriger. Obwohl das Elternhaus vor Augen, war kein Vater und keine Mutter da, sie hatten auf dem Feld zu tun. Die Oma, die den Fährjob übertragen bekommen hatte, war schwerhörig und hörte das Rufen des Mädchens manchmal nicht. Da half schon mal ein netter Fährmann mit seinem Touristenkahn und setzte das Mädchen über. Besonders schwierig war es im Winter, wenn das Eis für den Kahn zu dick, zum Betreten aber zu dünn war. „Vater baute mir dann aus Brettern eine Brücke, die er selbst testete. Dann traute ich mich auch rüber“, erinnert sich Heike an eine Kindheit mit Inseldasein.
Andreas und Heike haben sich nicht im Beruf kennengelernt, wie leicht zu vermuten wäre, sondern über eine Zeitungsanzeige die Schichtarbeiter Andreas aufgegeben hatte. „Ich wollte eine Familie haben, kam aber vor lauter Arbeit nicht dazu, mal ein Mädchen kennenzulernen.“ Heike fand die Anzeige ganz nett und den Mann dahinter später auch. Beide heirateten 1985, arbeiteten und wohnten in Cottbus, Burg und anderen Orten. Nach der Wende sollte sich Heike von der Bahn aus zur Kauffrau für Bürokommunikation umschulen lassen, Andreas wurde eine Tätigkeit in den alten Bundesländern angeboten, die er aber wegen seiner kranken Eltern nicht annehmen konnte. Im Ergebnis wurde beide arbeitslos, denn nach der Umschulung hatte auch Heikes Arbeitgeber plötzlich keine Stelle mehr frei.
Herbert Obermayer vom Förderverein Lehde e.V. sprach die beiden an, ob sie denn nicht mal seinen Kürbis-Stand zum Lehdefest 2008 übernehmen könnten. Ohnehin nur mit Gelegenheitsjobs versehen, war die Zeit dafür da. „Ich hatte schon mit der Idee, Marmelade zu machen, geliebäugelt. Das Fernsehen hatte eine Landtour durch Norddeutschland gezeigt, darin auch jemand in einer ähnlichen Situation wie wir. Mit Marmeladen hatte der den Sprung in die Selbstständigkeit geschafft“, blickt Heike Schade auf das Schicksalsjahr 2008 zurück. In den Tagen vor dem Dorffest kochten sie Kürbismarmelade und andere Fruchtaufstriche sowie Gelees, die Mutter buk Kürbiskuchen. Johanna Pschipsch kochte am Festtag über offenem Feuer Kürbissuppe, die reißenden Absatz fand. Auch die Marmeladen gingen hervorragend. „Erstaunlicherweise waren die Kunden bereit, sogar einen höheren Preis dafür zu akzeptieren. Ihnen war es wichtig, keine Dutzendware zu bekommen, sondern echte Handarbeit, mit echten Zutaten aus der Region“, resümiert Andreas Schade. Derart motiviert ging es an die Arbeit, die in der ersten Zeit auch viel mit Behördengängen zu tun hatte. „Als zwei Doktoren der Lebensmittelkontrolle angekündigt wurden, hatten wir doch leichte Bedenken, ob wir überhaupt eine Zulassung bekommen. Schließlich bereiten wir alles in unserer Küche zu und nicht in solch‘ modernen Einrichtungen, wie sie sich die Doktoren vielleicht vorstellen“, lauteten die Bedenken der beiden. Widererwarten ging alles gut, die Zertifizierung wurde erteilt, der Spreewaldverein e.V. gab seine Dachmarke, Freunde halfen beim Gestalten der Etiketten, und Heike Schade studierte und experimentierte mit Rezepten. „Schließlich sollen ja Spreewaldprodukte, möglichst die aus unserem Garten, verarbeitet werden“, so ihr Plan. Da lag es nahe, auch mal was mit Gurken zu machen. „Gurkenmarmelade!? Wie soll das denn schmecken?“, fragten die Besucher ihrer Marktstände, die sie bei den verschiedensten Anlässen im Spreewald und anderswo betrieben. Nach einer Verkostung kehrte sich dann die Skepsis in Akzeptanz um. „Einmal musste ich beim Nachbarstand alle Gurken aufkaufen, sonst hätten wir für die nächsten Tage keine Gurkenmarmelade anbieten können“, berichtet Andreas Schade über die diesbezüglichen Erlebnisse mit der sicher gewöhnungsbedürftigen, aber schmackhaften Marmelade. Sie besteht aus 50 Prozent Gurken, Erdbeeren, Orangensaft und einer „Prise Geheimnis“. „Schließlich wollen wir nicht alles verraten“, so Heike Schade. In diesen Dezembertagen weckt sie Kürbis auf Vorrat ein, um daraus später Marmelade zu machen. Sie beruft sich dabei auf alte Rezepte und die Erfahrung ihrer Mutter. „Früher hatten sie keine Tiefkühltruhe, also auch keine Erfahrungen mit dem Einfrieren, etwa der Kürbisse. Ich experimentiere nun, um herauszufinden, wie das gehen könnte. Schließlich ist der eingefrorene Kürbis wesentlich gesünder und gehaltvoller, als der eingekochte“. Heike Schade wird sicher bald wissen, welches Verfahren am besten geeignet ist. Beide sind hoch motiviert und gehen in ihrer Manufaktur auf. Sie haben einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gefunden und geben ihrem Leben einen neuen Sinn. Ihr Produkt reiht sich in die „Genussregion Spreewald“ ein und trägt somit für mehr Akzeptanz der Spreewaldprodukte bei. Der zweite Platz beim Wettbewerb „Goldener Heuschober 2011“ in dem von der Stadt Lübbenau und der Tourist-Information ausgeschriebenen Wettbewerb ist ein sichtbares Zeichen öffentlicher Anerkennung.

Peter Becker/peb1, 13.12.11
 

 

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