Johanna Pschipsch

Landwirtin aus Lehde

Jährlich zum Lehdefest sitzt in einer stillen Ecke am Kriegerdenkmal eine alte Frau und rührt in ihrem Kessel über offenem Feuer Kürbissuppe. Ihr kleiner Stand ist dicht umlagert. „Wir oft ich den Frauen aus der Stadt erklären musste, wie eine Kürbissuppe gemacht wird? Ich weiß es nicht mehr, bestimmt Dutzende Mal, jedes Jahr“, erzählt das Lehdscher Urgestein Johanna Pschipsch.

Der Weg zur Schule war im Spreewalddorf Lehde alles andere als einfach. Johanna Pschipsch, die damals noch Richter hieß, erinnert sich: „In unseren Holzpantoffeln – Schuhe waren viel zu teuer- fuhren wir ein Stück mit dem Kahn, der Rest war Fußweg. Unsere Lehder Ein-Klassenschule nannten wir unserer Fußbekleidung wegen daher ‚Holzpantoffelgymnasium‘. Im Winter, bei dünnem Eis, ging gar nichts, weder zu Fuß noch mit dem Kahn!“ Johanna hat noch das ursprüngliche Leben der Spreewälder erfahren. „Ich musste manchmal Mutter helfen die Wäsche im Fließ zu waschen, direkt aus dem Kahn heraus. Gern geholfen habe ich beim Brotkuchen backen. Auf den Rest des Sauerteiges hatte Mutter Zucker und Schmalz gegeben und in den Backofen geschoben – ein Festessen damals für uns Kinder“, kann sie sich gut erinnern. „Wer wie ich im Kriegsjahr 1945 mit Vierzehn aus der Schule kam, der hatte denkbar schlechte Karten fürs Leben!“ Johanna Pschipsch hadert dennoch nicht mit ihrem Schicksal, das ihr keine höhere Schul- oder Berufsausbildung ermöglicht hat: „Es war nun mal so!“ Aufgewachsen in einer kleinen Lehder Pachtlandwirtschaft, lernte sie frühzeitig das Arbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Der siebzehnjährige Bruder wäre eine Stütze gewesen, doch er kam verwundet aus dem Krieg zurück. Das bewahrte ihn aber nicht vor einem Abtransport durch die Russen ins berüchtigte Lager Jamlitz, kurz nach seiner Heimkehr. „Ich habe nie wieder was von meinem Bruder gehört!“, so eine nachdenkliche Johanna.
Im Chaosjahr 1945 musste das junge Mädchen praktisch allein die Landwirtschaft führen, denn Vater Max erkrankte an Tbc und Mutter Martha kurz darauf an Typhus. Ein paar Jahre später gab es dann durch einen vertriebenen Schlesier Unterstützung und Mithilfe in der Landwirtschaft. Aber selbst das erwies sich später als nicht sonderlich glücksbringend: „Der Kerl fand bei uns eine warme Stube, gutes Essen, meines Bruders Sachen passten ihm – und ich hatte mich in ihn verliebt. Aber nach der Geburt unserer Tochter Ute machte er sich aus dem Staub und ward nie mehr gesehen!“ beklagt Johanna diese Zeit. So langsam kam sie dann aber doch noch auf der Sonnenseite des Lebens an. In ihrem Schulfreund Hermann, der „Sandkastenliebe“, fand sie dann doch später den Mann fürs Leben. Tochter Heike kam auf die Welt und auch sonst hatte sich das Umfeld langsam zum Besseren gewandelt. Es war wieder Zeit und auch die Lust da, die traditionellen Feste der Spreewälder zu feiern. „Natürlich lagen die alle im Winter, im Sommer, so wie heute, ging das gar nicht, da mussten ja alle arbeiten“, so Johanna. Gut in Erinnerung geblieben ist ihr die Fastnachtszeit, die sie als junge Frau viele Jahre mitorganisierte. In Lehde wurde eine ganze Woche gefeiert: Donnerstag war Zampern der Jungen, es gab nur Eier und Speck, und die Mädchen brieten im „Fröhlichen Hecht“ alles zu Rührei. Am Sonntag war dann öffentlicher Tanz, ohne vorherigen Umzug durchs Dorf wie anderswo. Dafür zog die Jugend mit einer Kapelle am Montag zu den Teilnehmern der Fastnacht und bedankte sich auf dem Hof mit Ständchen und Schnäpschen, um dann am Abend selbst noch einmal ordentlich zum Tanz zu gehen. Am Dienstag trafen sich die verheirateten Paare zum Tanzabend, und am Mittwoch war „Portemonnaie-Wäsche“ - das letzte Geld ging dann über den Tresen. Das dörfliche Gemeinschaftsleben erschöpfte sich damit aber noch lange nicht. An den langen Winterabenden trafen sich Nachbarn und Freunde zur Spinnte, zum Federnschleißen oder zum ‚Zwiebelzuppen‘. „Das waren immer sehr schöne Abende. Wir konnten uns ja damals kein Saatgut leisten und mussten aus den getrockneten Zwiebelblüten den Samen rubbeln und die Pflanzenreste auspusten“, erinnert sich Johanna Pschipsch. Bei Möhren, Rüben und Gurken wurde ähnlich verfahren: Die größten Früchte verblieben zur Samengewinnung auf dem Feld, um daraus die Samen zu gewinnen.
Wie schon seit Jahrhunderten üblich, bildete das Schlachtefest einen Höhepunkt im Leben der Bauern. Nach einer Zeit ziemlich karger Mahlzeiten herrschte plötzlich Überfluss, den man sich mit den Nachbarn und Freunden teilte. „Wenn jährlich im Herbst ein oder zwei Bullen zum Schlachten nach Lübbenau gebracht wurden, war das schon ein erster Höhepunkt vor der eigenen Schlachtung. Vom Fleischer Koreng kam der Vater immer mit dicken Wurstpaketen zurück – ein Festessen für uns alle! Dem folgte dann noch die hauseigene Schlachtung eines oder zweier Schweine. Das war eine schöne Zeit, und dick ist keiner davon geworden, dafür gab es das ganze Jahr über nicht sehr viel Gehaltvolles,“ erinnert sich Johanna an Kindheit und Jugend. Das Schweinschlachten ist ihr besonders gut in Erinnerung geblieben, denn nach jeder Verrichtung mussten die Erwachsenen immer mal mit einem Schnäpschen anstoßen. Zuerst, wenn das Schwein zum Zerteilen aufgehangen wurde. Noch viele Arbeitsschritte folgten … . Johanna Pschipsch: „Sie wurden dabei immer lustiger. Unser Fleischer, Helmut Müller, hatte immer flotte Sprüche drauf wie: ‚Missener Bier und Bäcker Runges Brot, deuten auf einen frühen Tod‘.  Leider sollte er damit recht behalten, denn er verstarb sehr früh“.
Nach dem Tode ihres Hermanns lebte sie eine Zeit allein. Tochter Heike zog mit Schwiegersohn Andreas in das Haus, um ihr Unterstützung zu geben, da sich bei Johanna ein Knieleiden eingestellt hatte. Mit ihrem Wissen gibt sie aber auch viel zurück, denn die jungen Leute haben sich mit einer Marmeladenmanufaktur selbstständig gemacht. Viele Gläser Marmelade müssen dann in unterschiedlichsten Rezepturen eingekocht werden. Zum Lehdefest kann der Besucher Johanna Pschipsch am Kriegerdenkmal treffen. Sie kocht am offenen Feuer in einem kleinen Kessel Kürbissuppe, „die schon nach kurzer Zeit alle ist, so schnell kann ich gar keine nachkochen“. Ihr Rezept ist einmalig, sie verrät es auch nicht, nur so "ungefähr".

Peter Becker, 10.01.12

 

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