Von den High-Heels in die Gummistiefel
„Der Spreewald erinnert mich oft an das Humpeltal.“ Ramona Conrad Sigrist erinnert sich seit ihrer Ankunft im Spreewald gern und oft an das erzgebirgische Tal unweit von Annaberg. Hier zog das 1965 geborene kleine Mädchen mit Groß- und Urgroßmutter durch die wildromantische Bergnatur und sammelte Kräuter. Auf dem „Bödele“, dem Trockenboden für die gesammelten Kräuter, durfte sie sich jeden Abend einen anderen Tee aussuchen und auch selbst zubereiten. „Ich bin heute noch beeindruckt von deren Wissen und kann nach Jahrzehnten immer noch davon profitierten!“ Doch der Weg zurück zu den Ursprüngen verlief erst mal ganz anders und war auch gar nicht so vorgesehen. Die Eltern verzogen aus dem idyllischen Erzgebirge nach Berlin, das kleine Mädchen musste ihr Spielzeug in den Puppenwagen packen und die geliebten Großmütter verlassen. Unvergesslich dafür ihre regelmäßige „Heimkehr“ in den Schulferien, in ihr Märchental.
In Berlin passte sie sich an, machte ihre Schulausbildung und erlernte den Beruf einer Bürofachangestellten in den Fotochemischen Werken Köpenick und wurde auch später dort übernommen. Nach der Geburt von Sohn Mirco zog Ramona mit Ehemann Edgar in eine winzig kleine Hinterhofwohnung. „Außer etwas Himmel war nichts von der Natur zu sehen, es war schlimm für mich und ich nutzte jede Gelegenheit, mit dem Kind und Kinderwagen im nahen Park zu sein“, erinnert sich die von der Natur ihrer Kindheit Geprägte. In der Wendezeit bewarb sie sich als Sekretärin bei einer Sparkasse und wurde auch sofort angenommen. Nach innerbetrieblichen Umstrukturierungen und Mitarbeiterfreisetzungen folgte ein Wechsel zur Berliner Immobilienbank. „Inzwischen wohnten wir im grünen Friedrichshagen, ich musste aber lange Wege in die Stadt zurücklegen, um dann am hektisch-lauten Bahnhof Zoo zu meiner Arbeitsstätte zu gelangen.“ Die Bankerin, die in der Immobilienabteilung in klimatisierten Büros ohne wirklichen Bezug zur Außenwelt arbeitete, spürte eine zunehmende Leere in sich. „Soll das alles sein, was mein Leben bestimmt? Hier habe ich mich sehr weit von den Ursprüngen entfernt und beschäftige mich mit Dingen, die mit meiner inneren Einstellung zu den Werten des Lebens eigentlich nichts zu tun haben“, lautete damals ihre Einschätzung beim „Kassensturz ihres Lebens“. Sie setzte sich hin und legte sich eine Tabelle an, die sie ständig vor Augen hatte und auch immer wieder anpasste: „Links stand, was kann ich – rechts, was will ich.“ Mit dem Bankenskandal, einer schweren Erkrankung und durch aufkommende Eheprobleme brach eine sehr schwere Zeit für Ramona an: Es galt, sich in jeder Hinsicht neu zu orientieren. Bei einem Erholungsurlaub gemeinsam mit Sohn Mirko in der Burger „Bleiche“, lernte sie bei einer Kahnfahrt einen „netten und romantischen Fährmann kennen, der Gedichte von Rilke und Goethe während der Fahrt zitierte und sich somit von manch anderen seiner Kollegen unterschied, die meinten, mit platten Witzen die Gäste unterhalten zu müssen“. Es folgte noch weitere Urlaube und Kahnfahrten mit „ihrem“ Kahnfährmann, auch ein erster Kontakt entstand. In Berlin fasste sie sich ein Herz und schrieb ihrem Fährmann Hagen Conrad. „Aber warum sollte der mir antworten, er, der in der Saison Tausende Frauen durch den Spreewald stakt“, begrub sie sogleich ihre Hoffnung – und sollte sich täuschen. In der Folge entwickelte sich eine Fern- und Wochenendbeziehung: Von Montag bis Freitag die High-Heels und am Wochenende die Gummistiefel. „Ich merkte schon bei meinem ersten Besuch auf dem verlassenen Burger LPG-Stützpunkt, ein eingetragenes Grundstück von Hagens Großeltern, dass das, was mich hier erwarten könnte, mein Leben spürbar ändern und wieder in die richtige Bahn lenken wird. Die Gerüche meiner Kindheit waren sofort wieder da – ich war plötzlich da angekommen, wo ich hingehörte: Vom lauten Berlin ins unendliche Grün!“ Das heruntergekommene Grundstück veränderten beide nach und nach in eine Wohlfühloase für Urlauber und Kahnfährgäste. „Hagens Insel“ verspricht auch genau das, was der Name in sich birgt: Auf dem weiträumigen Gelände fernab jeglichen Verkehrs den Alltag eine Zeit lang vergessen. Die nahen Wiesen aber waren und sind Ramonas Ding: „Wir Menschen können fast alle Wiesenkräuter für uns nutzen – wir wissen es nur nicht oder haben es vergessen!“ Gegen das Vergessen und auch zur Auffrischung, besonders aber auch zur Erlangung einer behördlichen Genehmigung zum Kräutersammeln, belegte sie Kurse bei den „Grünen Hexen“ und bildete sich weiter. Ihre Kräuterführungen unter dem beziehungsreichen Namen „Wiesenfühlung“ erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. „Die Leute haben die Nase voll von den Industrie-Lebensmitteln, die letztlich oft teure Medikamente und Behandlungen wegen immer häufiger auftretenden Unverträglichkeitserscheinungen nach sich ziehen. Sie vertrauen nicht mehr und sehnen sich zurück in eine Zeit, in der die Menschen sich noch zu helfen wussten“, lautet ihre Einschätzung nach zwei Jahren Kräuterführungen. Ganz zunftgemäß zieht sie dann ihre roten Pumphosen an, dazu die Gummistiefeln und eine bunte Filzweste und wandert mit den Gästen über die Spreewaldwiesen. Eigentlich fehlt nur Stock und Hakennase, aber sie hat auch so kein Problem damit, sich als Kräuterhexe bezeichnen zu lassen. „Deren Wissen wurde lange Zeit verteufelt, dabei waren sie hier so etwas wie die hochgeehrten Schamanen oder Medizinmänner in anderen Kulturen. Heute ahnen wir, dass die Hexen oder wer auch immer so genannt wurde, über ein großes Wissen verfügten.“ Ramona Conrad-Sigrist ist daheim angekommen und freut sich schon auf die nächste Wiesensaison. In der Zwischenzeit gibt es noch immer viel zu tun, auf dem unendlich großen Grundstück auf dem sich auch immer mehr Tiere einfinden. Es ist schon irgendwie mystisch, wenn sich die Vögel fast aus ihrer Hand füttern lassen, Katzen und Hunde zulaufen und das Eichhörnchen mal am Küchenfenster vorbeischaut. Dann spricht sie ganz ruhig mit den Tieren, die fast alle einen Namen haben und plötzlich sehr zutraulich werden. Selbst die Käuze in der alten Fichte drehen interessiert ihre Köpfe, wenn sie mit ihnen spricht – die Frau, die die Natur zu nehmen versteht!
Wiesenkräuter-Limonade – ein Rezept der erzgebirgischen Urgroßmutter fand den Weg in den Spreewald und wird an heißen Tagen den Kahnfahrgästen angeboten.
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Einen gebündelten Strauß, bestehend aus |
10 – 20 Gierschblättern, 1 kleine Ranke Gundermann, 1 – 2 Stängel Pfefferminze, 1 – 2 Stängel Zitronenmelisse |
in |
1 Liter Apfelsaft oder 1 Liter Apfelwein |
einhängen und vier Stunden kühl stellen. |
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Danach den Strauß kräftig ausdrücken und entnehmen. Dem Getränk nun noch |
250 ml Mineralwasser mit einem Schuss Zitronensaft |
zugeben und bei Bedarf in Flaschen abfüllen. |
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