Sarah Griszcz

Jungdesignerin aus Ragow mit Schwerpunkt Trachtenmode

Reanimation

„Geht gar nicht, unmöglich, das gehört sich verboten, …“ So oder so ähnlich grummelte es am Rande der Modenschau anlässlich des Brandenburgtages im Lübbenauer Schlosspark. Der Stein des Anstoßes: Eine Vorführung von niederwendischen Trachten, die allerdings neu und komplett anders gewandet. Die junge Designerin Sarah Gwiszcz hatte ihre Models mit teils gewagten, teils durchaus üblichen Trachtenstücken auf den Laufsteg geschickt. Die traditionelle Kleidung der Niederlausitzerin diente ihr dabei als Basismotiv, ergänzt mit modernen Accessoires. Die Models waren tiefschwarz geschminkt. In ihre Modelle ließ sie auffällige Farben und Muster einfließen, sogar Totenkopfsymbolik war zu finden. Sarah Griszcz hörte die Reaktionen aus dem Publikum wohl, störte sich aber nicht sonderlich daran. Als ehemalige und eigentlich immer noch so denkende Punkerin, war und ist sie Ablehnung gewöhnt, sowohl ihre Arbeit als auch ihr eigenes Aussehen betreffend. Schon als Schülerin, damals am Lübbenauer Gymnasium, fiel sie durch schrille Outfits und Buntheit auf. Während der Trachtenschau verstummen jedoch die Stimmen immer mehr, um am Ende in Applaus, wenn auch hier und da noch etwas verhalten, zu münden. Viele Besucher haben erkannt, dass sich hinter der provokanten Fassade ein solides Können und ein großes Talent verbergen. Die Leiper Trachtenschneiderin Traute Romke, ein Spreewaldoriginal, nach der Schau: „Das Meechen macht das schon richtig, die Jungschen müssen ran. Schöne Ideen hat se, nur die ollen Totenköppe, die müssen nu man wirklich nicht sein!“
„Was mich antreibt, ist die Sorge um unsere schöne Tracht“, bekennt die Designerin, die im Spreewald aufgewachsen ist. „Ich will besonders unseren jungen Frauen eine Tracht geben, die sofort als hierher zugehörig erkannt wird, dennoch schick und modern ist - und wegen der leichten luftigen Stoffe gern getragen wird“, fasst Sarah Gwiszcz ihr Projekt „Reanimation“ zusammen. „Der Name steht nicht nur für Wiederbelebung, er steht auch für Erneuerung, für Wiedererkennbarkeit“, lautet ihr Credo.
Die 1988 Geborene hatte schon als kleines Mädchen zu schneidern angefangen. Oma Gerda Gwiszcz unterhielt in Ragow eine kleine Boutique, da war immer mal Zeit für ein paar Handarbeiten. „Oma ließ mich Reststoffe mit Nadel und Faden zu fantasievollen Kleidungsstücken vernähen“, erinnert sich Sarah an die Anfänge. Sie war den Künsten schon früh zugetan. Sibylle und Andreas Gwiszcz, die Eltern, ermöglichten ihr den Besuch von Aquarell- und anderen Mal- und Kunstkursen. „Draußen rumtoben war nie mein Ding. Ich wollte kreativ sein, Spiele gaben mir wenig.“ Nach dem Abitur 2007 absolvierte sie im Museumsdorf Glashütte ein Praktikum. In der Boutique von Diana Nicolaus fand sie Anregungen für eigene Kreationen, hier sammelte sie Ideen. Später, nun schon im 4. Semester an der Akademie für Mode und Design in Berlin, legte sie ihre ganze Kraft in das Projekt „Sorbisch modern“. „Da war ich ganz plötzlich an der Heimat dran, das Projekt hat mir meine Wurzeln aufgezeigt“, bekennt sie, die ostpreußisch/slawische Ahnenlinien -erkennbar am Familiennamen- hat. Nur der Projektname missfiel ihr ein wenig. „Aber die Berliner können mit der im Spreewald bevorzugten Bezeichnung Wenden nichts anfangen, da musste ich mich beugen“, so Sarah Gwiszcz. Sie belegte Workshops, bedruckte meterweise Blaudrucktextilien und suchte den Rat bei den Trachtenexpertinnen im Spreewald. „Hier bekam ich einen tiefen Einblick in die Vielfalt und in die regionalen Unterschiede. Den Damen bin ich immer noch sehr verbunden und zu großem Dank verpflichtet“ blickt sie auf diese Zeit zurück. Die Projektmitglieder zeigten ihre Modelle bei Schauen in der Region, auch Ausstellungen gab es dazu - und wie immer jede Menge Ablehnung wie Zustimmung. Für Sarah, die Widerstandsgewohnte, kein Grund zum Aufgeben, eher zum Weitermachen. „Meine Bachelorarbeit ‚Reanimation‘, meine Abschlusskollektion, hatte ebenfalls die Trachtenmode als Thema. Reanimation steht genau für das, was ich möchte“ erzählt die Designerin, die mit den dazu gefertigten Modellen und noch vielen neu zu entwerfenden, mal selbstständig machen will. Aber noch fehlt ihr dazu noch das letzte Quäntchen Mut - und auch das Startkapital. Deshalb arbeitet sie erst mal noch in der Lübbenauer Kranfirma ihres Vaters und hilft bei der Buchhaltung. Ihre Gedanken kreisen aber stets um die Trachten und um tragbare, alltagstaugliche Modelle. Trachten, die allgemein angenommen werden. Ihre Models, durchweg Schülerinnen oder Auszubildende, sind begeistert und unterstützen die Designerin uneigennützig bei den Schauen. Sie denken ähnlich, lassen sich nicht von den Zuschauerreaktionen beirren und tragen gern Sarahs Stücke.
Immer wenn es Zeit und Geld erlauben, ist Sarah Gwiszcz auf dem elterlichen Grundstück in Ragow am Werkeln. Hier entsteht mit Unterstützung der Familie und Freunden in einem alten Nebengebäude ihr Atelier. „Da kann ich in Ruhe schneidern und meine Ideen verwirklichen. Bisher konnte ich die Räumlichkeiten der LübbenauBrücke nutzen. Ganz unkompliziert wurden sie mir zur Verfügung gestellt“, zeigt sich die Modegestalterin dankbar. Wenn sie mal keine Lust auf Trachten hat, weicht sie aus, aber nicht sehr weit: Die Kleidung des Mittelalters hat es ihr ebenfalls angetan. Sarah ist bekennender Fan und fühlt sich in alten Waffenröcken wohl. Beim jährlichen Lübbener Burglehnfest ist sie dabei. „Da kann ich mal abschalten, Handy und PC bleiben an diesen Tage aus. Ich kann viel über altes Handwerk lernen – und die eine oder andere Inspiration für meine Arbeit aufnehmen“, benennt sie ihr Faible.

Peter Becker/peb1, 07.12.12

 

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