Fährfrau Christine Ternow

Christine Ternow, Raddusch

  • Kahnfährfrau
  • Ostereierverziererin


Noch in den sechziger Jahren verlief die Kindheit in den Spreewalddörfern nicht sehr viel anders als in den Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten zuvor: Nach der Schule war Mithilfe im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern nötig. Die Felder und Wiesen lagen oft weit vom Hof entfernt und waren meist auch nur mit dem Kahn erreichbar. Die siebenjährige Christine Belaschk tat es ihrem älteren Bruder nach und fuhr 1965 das erste Mal allein mit dem Kahn, dem kleinsten den die Familie hatte, hinaus in den Spreewald, zum Gemüsefeld der Eltern. Im Kahn, schön warm eingepackt, das von der Großmutter gekochte Mittagessen. Auf dem Feld wurde dann oft erst mal gemeinsam gegessen und anschließend mitgeholfen. „Da tat schon mal der Rücken weh, aber was soll’s... Es musste nun mal so sein und es ging ja allen Kindern in Lehde so“, erinnert sich Christine, die heute Ternow heißt und in Raddusch wohnt. Hausaufgaben wurden manchmal erst am späten Abend gemacht. Vorher mussten die wichtigsten Dinge in Haus und Hof erledigt werden. „Aber wir hatten trotz aller Arbeit auch eine schöne Kindheit. Besonders Sommer und Winter hatten ihre Reize für uns Spreewaldkinder. War es mal besonders heiß, konnte man sich mit einem Sprung in die kühle „Dolzke“ Erfrischung verschaffen. Später, als Teenager, wollte ich mich mal mit meinen Lübbenauer Mitschülern am Boblitzer Badesee treffen, aber das fand bei meinen Eltern und Großeltern überhaupt kein Verständnis: ‚Wir baden seit Generationen im Fließ, da muss man doch nicht woanders hinfahren‘ lautet deren unmissverständliche Absage meines Vorhabens.“ Auch an die leider oft nur viel zu wenigen Tage im Winter denkt sie gern zurück, an denen eine geschlossene Eisdecke das Schlittschuh laufen ermöglichte. „Aber da musste man sich förmlich beeilen, denn bei ungünstigem Wind bildete sich schon nach kurzer Zeit auf dem Eis eine Ascheschicht aus, die wie Streusand wirkte – heran geweht vom Lübbenauer Kraftwerk.“
Nach der 10. Klasse verließ sie erst mal für einige Zeit den Spreewald und wurde Chemielaborantin in Guben. An den Wochenenden ging es aber heim - und auch gleich wieder auf Tour: In den Dörfern, besonders auch in Raddusch, gab es damals viele Jugendtanzveranstaltungen. Hier lernte sie Hans-Jürgen kennen und lieben, beide heirateten bald und bauten sich in Raddusch ein Häuschen aus. Eine Arbeit fand Christine im nahen Vetschau, als Zuschneiderin bei der Traglufthallenfertigung. Wegen der unsicheren betrieblichen Perspektiven in der Nachwendezeit machte sie sich 1993 selbständig und übte fortan die Tätigkeit aus, die sie am besten beherrschte: Kahn fahren. Als eine der immer noch wenigen Frauen stakt sie jährlich ab Lübbenau über tausend Gäste durch die Fließe, zeigt ihnen die Schönheiten des Spreewaldes und erzählt über Menschen und Traditionen, so wie sie es aus eigenem Erleben kennen gelernt hat. Dabei trifft sie auf viele interessante Menschen, darunter immer wieder Stammgäste, die immer nur mit ihr fahren wollen. Wenn ihr auf ihren Touren dann eine ebenfalls Kahnfährfrau entgegenkommt, ist es oft ihre Schwester Sigrid Lumpe. Da wechselt schon mal ein kurzer Gruß von Kahn zu Kahn.
An den langen Winterabenden hat sie eine alte Leidenschaft wieder für sich entdeckt. „Im Sorbisch-Unterricht haben wir früher mal Ostereier ganz traditionell in Wachsbossiertechnik gestaltet. Diese Technik wird zwar hauptsächlich in der Oberlausitz angewandt, aber mich hat das damals schon fasziniert, nur fehlte mir oft später die Zeit dafür. Nun kann ich mich wieder dem widmen und schaffe in jedem Winter inzwischen so an die 150 Eier zu verzieren.“ Sie sitzt dann viele Nachmittage und Abende in ihrer Radduscher Küche vor den vielen Alu-Löffeln mit von Teelichtern flüssig gehaltenem farbigen Wachs und trägt mit feinen Federkielen die Muster auf. Kein Ei gleicht dem anderen – zu vielfältig sind die Muster und die kreativen Ideen der Christine Ternow. „Natürlich hole ich mir auch Anregung aus Büchern oder gehe in Ausstellungen und Messen, aber letztlich kreiere ich meine eigenen Muster. Diese Tätigkeit zwingt einen auch zur inneren Ruhe, man darf sich aber keinen Träumereien hingeben, zu schnell hat man das Muster verdorben!“ Eine kleine Träumerei erlaubt sie sich dennoch mal immer wieder: Sie sieht sich schon bald wieder mit dem Kahn durch die Fließe staken und freut sich auf ihren „schönsten Arbeitsplatz der Welt“!

Peter Becker, 22.01.10

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