Tetiana Vedernikova

Von der Ukrainerin zur Spreewälderin

Ihre Freundlichkeit ist ansteckend, ihr Lächeln fesselt. Tetjana Vedernikova spricht Deutsch mit ukrainischen Akzent. Fehlt mal ein Wort, wird es gestenreich und mit viel Lachen dem Gegenüber erklärt. Fast möchte man immer wieder neue Fragen stellen, um zu erleben, wie sie die Antwort erklärt. Die 24-Jährige ist der Sonnenschein auf Baronicks Gemüsehof in Burg. „Sie ist so lieb und immer hilfsbereit, jeder möchte gern mit ihr zusammenarbeiten“, erzählt Kollegin Monika Schneider. Beide sind mit dem Abkeimen eines großen Berges Kartoffeln beschäftigt. Die diplomierte Umweltökologin ist sich für keine Arbeit zu schade. Die kleine zierliche Frau packt zu und sieht die Arbeit. Hofchef Wilfried Baronick ist zufrieden mit seiner Praktikantin und bereut keinesfalls, sich vor ein paar Jahren für das Apollo-Programm entschieden zu haben. Ziel des Programmes ist die Förderung der Entwicklung des Agrarsektors und der ländlichen Räume Osteuropas. In Deutschland können sich junge Menschen mit abgeschlossener Hochschulausbildung im Rahmen eines Praktikums Wissen aneignen. Der Verein unterstützt dies mit Stipendien und organisiert den Aufenthalt. „Ich habe davon mal gelesen und mich dort mit einem Platz auf meinem Gemüsehof angeboten. Es dauerte nicht lange und schon konnte ich Tetjana vom Vetschauer Bahnhof abholen“, erinnert sich der Hofchef. Die Fahrt nach Burg verlief schweigend. Einerseits konnte die Ukrainerin noch viel zu wenig Deutsch, und das Schulrussisch des Chefs musste erst mühsam aus der Versenkung geholt werden. Andererseits kam Tetjana nicht aus dem Gucken heraus: „Schon bei meiner Ankunft in Berlin war ich überrascht. So eine große Stadt mit so viel Grün, alles sauber und gepflegt - Deutschland ist so, wie es mir von anderen geschildert wurde.“ Und es wurde noch grüner, je näher sie an Baronicks Wohnung im Spreewald heran kamen. Dort bekam sie ihr eigenes Zimmer. Hierhin kann sie sich zurückziehen, lesen und mit ihren fernen Freunden über Facebook chatten. „So bleibe ich meiner Heimat verbunden. Mit Mama telefoniere ich mindestens einmal in der Woche, wir haben uns immer so viel zu erzählen.“ Mit Sybille Baronick wird gemeinsam gekocht, anfangs noch mit dem Wörterbuch in der Hand. Inzwischen kommt es seltener zum Einsatz, liegt aber, von vielen Gebrauchsspuren gezeichnet, immer noch griffbereit im Regal. Deutsche und ukrainische Küche wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Tetjana hat inzwischen viele Freunde gefunden, was auch gar nicht verwundert. Sie lebt das selbstverständliche Leben einer jungen Frau, besucht Discos und ist sportlich im Spreewald unterwegs. Ausländerfeindlichkeit ist ihr noch nie begegnet.

„Ich habe schon viel gelernt. Mein besonderes Interesse gilt dem biologisch-ökologischen Anbau des Gemüses. In meiner Heimat gibt es das inzwischen auch. Die Menschen dort haben jahrelang erleben müssen, wie Landwirtschaft mit viel Chemie betrieben wurde. Unsere Natur ist schon arg in Mitleidenschaft gezogen worden“, schätzt Tetjana Vedernikova ein. Sie wünscht sich für die Ukraine ein viel strengeres Kontrollnetz durch die Behörden. „Hier in Deutschland wird so viel kontrolliert, da haben Betrüger kaum eine Chance. Hier ist biologischer Anbau auch wirklich biologisch.“

Der Berg Kartoffeln ist immer noch nicht sehr viel kleiner geworden, obwohl ihre Kollegin allein weiter gearbeitet hat. Tetjana hat schon langsam ein schlechtes Gewissen, weil sie die ganze Zeit erzählt hat und nicht zum Abkeimen gekommen ist. Für ein abschließendes Foto zeigt sie noch mal ihr ganzes Strahlegesicht. „Dazu muss sie sich nicht anstrengen, die lacht den ganzen Tag“, wirft Kollegin Schneider ein. „Warum auch nicht? Es ist so schön hier bei euch, im Spreewald und in Deutschland überhaupt“, antwortet Tetjana. „Manchmal glaube ich, dass die Deutschen gar nicht wissen, wie gut es ihnen geht!“ Dann kommt doch einmal für einen Moment ein wenig Nachdenklichkeit in ihr Gesicht. Ihre Zukunft ist noch nicht entschieden. „Einerseits zieht es mich heim, andererseits lebe ich schon lange hier. Bei Sybille und Wilfrid Baronick habe ich wunderbare Ersatzeltern gefunden.“ „Nun wird es Zeit für die Kartoffeln“, wirft ihr Chef und Ersatzvater ein. Er braucht sie für den Markt.

Peter Becker, 16.05.12

 

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