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„Man sollte den Film nicht entwickeln, bevor er voll ist!“Ein Spreewälder Junge, der gar nicht aus dem Byhleguhrer See heraus kommen wollte. Einer, den niemand im Winter von den Schlittschuhen holen konnte – so einer war Ulrich Noack. „Ich kann mich noch gut an die schönen langen Sommer erinnern, die auch wirklich Sommer waren und an kalte, schneereiche Winter“, blickt der am 3. Juli 1951 Geborene auf eine Kindheit inmitten des Spreewaldes zurück. „Sie war schön, aber auch entbehrungsreich, denn wie alle Kinder damals musste ich, wie auch mein älterer Bruder in der Landwirtschaft der Eltern mithelfen, und ich freute mich auf die knappe Freizeit mit den Freunden. Jeder, der schon mal in glühender Sommerhitze auf einem staubigen Feld arbeiten musste, weiß, wie schön nach der Arbeit der Sprung in den See ist!“ Vater Walter, ein Kriegsinvalide, betrieb mit seiner Frau Johanna einen kleinen bäuerlichen Betrieb in Byhlegure. „Es war ein Leben mit und für die Tiere in einer überschaubaren vertrauensvollen Umgebung“, fasst Ulrich Noack heute diese Zeit zusammen. Doch diese heile Welt drohte, für die Kinder noch nicht fass– und greifbar, zu zerbrechen. Ende der fünfziger Jahre wurde die Zwangskollektivierung vorangetrieben, das Überschaubare sollte dem Gemeinnutz, den großen wirtschaftlichen Strukturen, geopfert werden. Noacks konnten sich ein solches Leben nicht vorstellen und wichen dem Druck aus – durch eine Flucht am 12. August 1961 nach Westberlin. Die Nachbarn übernahmen die Tiere und mit ganz wenig und unauffälligem Gepäck ging es nach Berlin. Um nicht aufzufallen und gefasst zu werden, fuhren Eltern und Kinder getrennt mit der S-Bahn in den Westteil. Am nächsten Tag, nun schon im Aufnahmelager, bekamen sie mit, mit wie viel Glück ihnen diese Flucht in letzter Minute gelungen war. Anderen ging es nicht so gut, hier wurden die Familien zerrissen. Einige kamen noch am 12. August an, die Partner oder die Kinder sollten am 13. folgen – und konnten es nicht mehr. Für immer im Westen!? Nach einer Zeit in verschiedenen Aufnahmelagern mit dem Besuch der jeweiligen Lagerschulen kam die Familie in Paderborn unter. Ulrich Noack absolvierte die Realschule und besuchte die Handelsschule in Herford. Nach dem Wehrdienst beim Grenzschutz folgten sieben Semester Wirtschaftsstudium mit dem Abschluss als „graduierter Betriebswirt“. Da freie Stellen nicht allzu dicht gesät waren, versuchte er über Praktika und Aushilfsjobs Fuß zu fassen, so wie beim Arbeitsamt in Detmold. Dort lernte er Marion kennen und lieben: „Wir haben uns auf dem Amt kennen gelernt und führen quasi seit diese Zeit eine von ‚Amts wegen gestiftete‘ Ehe“, so Noack. Das Paar baute sich ein Häuschen und richtete sich fürs Leben ein. „So dachten wir damals, in den späten achtziger Jahren, aber die politischen Ereignisse in meiner Heimat warfen unsere Planungen bald über den Haufen. Ein Angebot, als Einarbeiter für drei Monate ins neu entstehende Arbeitsamt nach Frankfurt zu gehen, nahm ich, anders als vielleicht manche meiner Kollegen, dankbar an. Ich kam der Heimat wieder näher.“ Das vertrauensvolle Miteinander der Menschen, die Offenheit und die Herzensgüte der Menschen im Osten faszinierten ihn. Ulrich Noack, inzwischen Geschäftsstellenleiter im Arbeitsamt Lübben und nun noch näher an der Heimat dran, spürte, wie sehr er diese Menschen eigentlich vermisst hatte. Er konnte oft helfen und neue Lebenswege formen, leider nicht immer. Er machte Mut und meisterte mit seinen marktwirtschaftlichen Kenntnissen so manche Hürde bei Behörden und Ämtern. Ulrich Noack konnte sich in das Leben der Menschen hineinversetzen, die auf einmal vor tiefgreifenden Umbrüchen standen und ihr Leben neu ordnen mussten. Gerade in dieser Umbruchzeit wurde Unwissenheit und Gutgläubigkeit der Menschen durch einige "West-Importe" oftmals schamlos ausgenutzt. Wieder daheim Von den drei Monaten „Osteinsatz“ war längst keine Rede mehr, zumal Ehefrau Marion seit einem Spreewaldbesuch, noch zu DDR-Zeiten, von Burg schwärmte und sich sehr gut vorstellen konnte, dort mal zu wohnen. Nach einer Zwischenstation in Schmogrow konnte 1995 das Eigenheim in Burg endlich bezogen werden. Ulrich Noack hatte die Wahl, die anstehenden Veränderungen in den Arbeitsämtern mitzutragen oder sich vielleicht doch noch einmal nach einer anderen Tätigkeit umzusehen. Seit 1998 war er bereits Burger Gemeindevertreter und kannte seine Heimatgemeinde inzwischen recht gut. Als die Stelle des Amtsdirektors neu zu besetzen war, überlegte er nicht lange und stellte sich zur Wahl. „Ich fand 2007 bereits gute Verwaltungsstrukturen, Burg war Kurort, die Therme funktionierte und der Tourismus florierte. Meine Aufgabe sah und sehe ich in der Qualitätssicherung und in Bereich der Nachwuchsgewinnung“, schätzt er ein. Er sieht sich immer noch als der Impulsgeber von damals und er will bei den Einheimischen das Bewusstsein stärken, dass sie ein einmaliges kulturelles Pfand in der Hand haben. Für ihn sind Streuobstwiesen und alte Häuser das Markenzeichen der Region, hier kann der Tourist noch in ein funktionierendes Leben blicken, was anderswo längst ausgelöscht wurde. Ulrich Noack setzt auf Produktvermarktung vor Ort und verweist auf erfolgreich umgesetzte Ideen: „Wir erzeugen selbst ausreichend Obst und Gemüse und andere Lebensmittel. Wir müssen uns nur wieder mehr auf unsere Stärke besinnen, denn dann helfen wir uns selbst am besten.“ Er kann sich auch gut vorstellen, dass die sorbisch/wendische Tracht wieder in den Alltag zurückkehrt, wenn auch anders als früher. „Sicher werden es nur Elemente sein, aber ein schickes Blaudruck-Halstuch steht jeder Frau und vielleicht auf den Mann gut zu Gesicht – und erfreut besonders die Touristen, die oft vergeblich nach der schönen Tracht Ausschau halten, die auf nahezu jedem Werbeprospekt zu sehen ist.“ Ulrich Noack nennt es das „Patrimonium“ eines Volkes. Was wie ein Heiligtum klingt ist auch eins: Es ist das kollektiv-kulturelle Eigentum der Spreewälder. "Wir sollten gelassener sein!" Es ärgert ihn, wenn die Gäste sich gelegentlich über mangelnde Freundlichkeit beschweren oder wenn die Qualität in den Unterkünften noch nicht überall so gut ist, wie sie sein sollte. „Aber ich habe Verständnis für die Situation der Gastgeber, die manchmal vom Landwirt zum Chef eines Unternehmens mit mehreren Angestellten wurden und kaum über Erfahrung verfügen. Hier muss die Verwaltung helfen, hier sehe ich eine wichtige Aufgabe.“ Für Ulrich Noack ist das Paket Dienstleistung noch nicht ganz gepackt, aber auf gutem Weg. Es wird noch dauern, bis alle Reserven ausgeschöpft sind, aber dann ist Burg gut aufgestellt: „Man sollte den Film nicht entwickeln, bevor er voll ist! Alles andere ist Ressourcenverschwendung!“ Die knappe und von vielen Abendveranstaltungen unterbrochene Freizeit verbringt Ulrich Noack gern in der Küche. Der bekennende Frankreich-Fan – er lebte dort mal ein halbes Jahr und spricht perfekt Französisch- kreiert dann französische Gerichte ebenso gut wie den regionalen Klassiker „Fisch in Spreewaldsoße“. Er liebt es, wie die Franzosen zu denken und möchte gern eine gewisse Gelassenheit in den Alltag einfließen lassen. „Was im hektischen und alles gleich wichtig nehmenden Alltag einer deutschen Behörde nicht möglich zu sein scheint, ist aber überlebenswichtig. Es ist die große Kunst unserer westlichen Nachbarn Wichtiges von Unwichtigem zu trennen - wenn es erst mal erkannt wurde. Andernfalls muss ein wenig gewartet und beobachtet werden, es stellt sich dann schon heraus, was wirklich wichtig ist!“
Peter Becker, 23.03.2011 /peb1
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