Wilhelm Moshake

pens. Gastwirt Grüner Strand der Spree, Lübbenau

Der bald 86-Jährige kommt rüstig daher. Wilhelm Moshake scheint der lebendige Gegenbeweis zu den allgemeingültigen Regeln einer gesunden Lebensweise zu sein: Nicht rauchen, nicht trinken, ausreichend Nachtschlaf, regelmäßige Erholung – alles Dinge, die in einem Gastwirtsleben nicht so einfach umzusetzen sind und die oft das Gegenteil bedeuten. Gastwirt war Wilhelm Moshake bis zum 76. Lebensjahr, fünf Jahrzehnte lang. Es war ohnehin Vorbestimmung für ihn, der in der vierten Moshake-Generation groß geworden ist.

Über die Söhne weiter vererbt, war 1953 auch für Wilhelm Moshake der Zeitpunkt der Verantwortungsübernahme gekommen. Zuvor hatte er wie viele seiner Generation noch den letzten Weltkrieg zu spüren bekommen. Als Marinehelfer, gerade 17-jährig, kam er auf Sylt zum Einsatz und wurde im April 1945 gefangen genommen. „Ein Sommer auf Sylt“ hat für ihn heute eine ganz andere Bedeutung: Bis November blieb er hinter britischem Stacheldraht, bevor er in die Westzone entlassen wurde. Eine direkte Entlassung in die sowjetisch besetzte Zone wäre aus politischen Gründen nicht möglich gewesen. So blieb Wilhelm Moshake eine Zeit bei einer Tante und kam erst 1946 nach Lübbenau zurück. Er trat eine Kellnerlehre an, zuerst beim Vater Wilhelm und dann im Strandcafé Lübben. Es gab für ihn auch viel vom Leben nachzuholen, dazu gehörte das Tanzen. Um gut dazustehen, besuchte er mit Freunden eine Tanzschule, die drei dafür benötigten Mädels organisierte der Tanzlehrer. Eine, Helga, gefiel dem Tanzschüler Wilhelm so gut, dass er sie 1953 heiratete. Als Köchin half sie dann viele Jahre in der Gaststätte mit.
Im besagten Jahr 1953 wurde sein Vater Wilhelm Moshake seitens der staatlichen Handelsorganisation (HO) angefragt, ob er den nicht an die Organisation verpachten möchte. Was sich wie eine einfache Frage anhört, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, war im Kern eine ultimative Aufforderung. Viele der viele privat betrieben Hotels und Gaststätten mussten mehr oder weniger dieser „Einladung“ folgen. „Mein Vater sah in der Verpachtung die einzige Möglichkeit, die Familientradition aufrechtzuerhalten, wenn auch nur als Pächter, als HO-Angestellter. Für ihn war es gleichzeitig die Gelegenheit, die Verantwortung nicht nur an die HO, sondern auch an seinen Sohn abzugeben“, erinnert sich Wilhelm Moshake jun. an das schicksalshafte Jahr. Er hatte nun die von Partei und Staat gestellte Versorgungsaufgabe der Spreewaldbesucher wahrzunehmen. Wegen der Lage der Gaststätte in einem der Hauptreisegebiete für Ausflügler und wegen den mit dem Reisebüro der DDR abgeschlossenen Verträgen, wurde das Lokal bei der Warenzuteilung relativ gut bedacht. Wilhelm Moshake zeigte sich auch kooperativ und half seinerseits der HO beim Absatz von schwer unter die Leute zu bringenden Waren. „Ich erinnere mich an eine 2-Liter-Kognakflasche für 80 Mark, die sich kaum einer damals leisten konnte. In der Gaststätte ließ sich daraus ganz gut einschenken und wir bekamen als Gegenleistung von der HO auch ab und zu mal was Selteneres für unsere Gäste, wie Ananas in Büchsen für die Jugendweihefeiern“, so seine Erinnerung an das Geben und Nehmen zu DDR-Zeiten. Dazu gehörte auch, dass den einheimischen Fischern deren minderwertige Beifänge angenommen wurden, um dann mal Aal oder Zander zu bekommen. Eingefroren kamen die Edelfische später, im Winter, ebenso wie das von einheimischen Jägern abgenommene Wild, wieder auf den Tisch – der Einheimischen. Im „Grünen Strand“ fanden die regelmäßigen Brigadefeiern der Kraftwerker statt, was Werkdirektor Dieter Albert zur Bemerkung verleiten ließ, dass sich die Gaststätte den Ehrennamen „Werk 6“ erarbeitet hat (Werk 1 bis 3 waren Kraftwerksteile in Lübbenau, 4 und 5 in Vetschau). Sommers über war das ganz normale Versorgungsgeschäft zu erledigen, was manchmal angesichts der Besucheranstürme in Unnormalität ausartete. Das Personal musste manchmal Übermenschliches leisten. Wilhelm Moshake: „Und wenn sich dann noch kurzfristig die US-Botschaft mit 60 Leuten zum Pfingstessen anmeldet, ist eine logistische Meisterleistung vom Feinsten angesagt!“ Hinzu kommen noch die Vertragsurlauber und offizielle Besucher aus der Staats- und Parteiführung. Der „Grüne Strand“ war Protokollgaststätte, wie es damals hieß. So ziemlich alle Größen kamen in den Spreewald und fast immer zu Moshake. Wohltuend dagegen der Besuch bundesdeutscher Politiker wie Gustav Heinemann und des Westberliner Bürgermeisters Klaus Schütz. Anders als die Protokollgrößen kamen sie ganz privat und in Familie, kaum erkannt von den anderen Spreewaldbesuchern. „Auch der SPD- und der CDU-Vogel konnten bei uns ungestört speisen und einen entspannten Tag genießen“, erinnert sich Moshake an zwei weitere Prominente.
Inzwischen war Sohn Wolfgang Moshake für die Übernahme der Verantwortung herangewachsen. Der 1955 Geborene hatte Koch gelernt und die Gastronomiefachschule absolviert. Nach dem Willen seines Arbeitgebers, der HO, sollte er in Cottbus die gerade fertiggestellte Bowlingbahn übernehmen, wozu er aber gar keine Lust hatte. Mit einem kleinen Trick lösten Vater und Sohn das Problem: Wilhelm Moshake übergab 1983 die Leitung an seinen Sohn und ernannte sich selbst zum Stellvertreter. Erst im Jahr 2004 schied Wilhelm Moshake endgültig aus dem Geschäft aus, zwei Jahre später übergab auch sein Sohn die Traditionsgaststätte, die nun von Jörg Schwerdtner geführt wird.
Früher hat er in seiner knappen Freizeit Briefmarken gesammelt, dieses Hobby aber inzwischen aufgegeben. „In einer Zeit, wo das Sammeln und Tauschen dem Kaufen gewichen ist, hat das für mich seinen Reiz verloren“, lautete schon vor Jahren sein Entschluss. Dafür hat er seine andere Sammlung auf Vordermann gebracht: Uralte Dokumente der Familiengeschichte geordnet und in einer Chronik abgelegt. Darunter die Briefe seiner Mutter Käthe im Mai 1945 an ihn auf Sylt. Darin die Schilderungen über die Erlebnisse mit der Roten Armee, den zahllosen Flüchtlingen, von Niedergang und Neuanfang – ein Stück authentischer Stadtgeschichte.

Peter Becker/peb1, 15.01.14


 

 

Alle Originale